Lesetipp: Gretchen Dutschke, „1968“

Das andere ‘68

Es gibt nur wenige Jahreszahlen, die so irrlichternd durch das kollektive Weltgedächtnis wandern wie das Jahr 1968. Freie Liebe. Rock‘n Roll. Kommune 1. Das Märchen der Nachkriegsjugend von San Francisco bis Berlin, der Geruch von Revolution auf den Straßen. Ein Bild, voller Romantik – ein romantisiertes Trugbild? Diese und noch viele weitere Fragen wirft Gretchen Dutschke mit ihrem Buch „1968: Worauf wir stolz sein dürfen“ auf. Ihr selbstkritischer Blick auf die Studentenbewegung legt den glühenden Kern hinter dem Mythos frei: Machtkämpfe, Egoismen, Frauenfeindlichkeit. Denn sogar im revolutionären SDS gaben die Genossen wenig auf die Meinung der Genossinnen – eine Tatsache, die in etlichen anderen Publikation zum Thema gerne übersehen wird. Nicht so von der Witwe Rudi Dutschkes, die sich im Auge des 68er-Sturms befand, als er durch Deutschland tobte und die gesellschaftliche Landschaft für immer verändern sollte. Denn trotz aller berechtigter Kritik haben die 68er das Verständnis der Deutschen von Demokratie und Partizipation geprägt – wenngleich Gretchen Dutschke auch ihr grandioses Scheitern nicht verschweigt. Ein höchst unterhaltsames Buch, das auch andere Ausläufer wie die Frauenbewegung in den Fokus nimmt. Immerhin gehört die große zweite feministische Welle zu den wenigen Gruppierungen dieser Zeit, die einen tatsächlichen Wandel anstießen. Und darauf sollten wir allerdings stolz sein.

Gretchen Dutschke, 1968: Worauf wir stolz sein dürfen, kursbuch.edition 2018, 224 S., 22 Euro

In der Bibliothek zu finden unter: Ei 13

Mira de Gouges

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