
Die schönere Lüge
„Die schönere Lüge“, im Original bereits 2016 erschienen, ist der vierte Roman der US-Amerikanerin Dana Spiotta. Es ist ein Buch über die Freundschaft zweier Frauen, doch viel mehr noch ein Buch über die Filmkunst.
Meadow und Carrie lernen sich in den 1980er Jahren auf der Highschool kennen und werden schnell Freundinnen; ihre gemeinsame Liebe zum Film verbindet sie. Insbesondere Meadow gibt sich komplett der Filmkunst hin. Nach Abschluss der Highschool trifft sie den sehr viel älteren, berühmten Regisseur Orson Welles und lebt neun Monate mit ihm zusammen. Nach seinem Tod zieht sie in den Bundesstaat New York und verbringt einen Sommer damit, gemeinsam mit Carrie Filmprojekte durchzuführen und alte Klassiker nachzudrehen. Es ist eine Zeit filmischer Experimente, denen Meadow auch weiterhin treu bleibt. Sie dreht künstlerische Avantgarde-Filme und strittige Dokumentationen. Währenddessen etabliert sich Carrie als eine Regisseurin, deren Filme sich stärker am Mainstream-Geschmack orientieren und denen sie versucht, etwas Feminismus beizugeben. Die Freundschaft zwischen den beiden Frauen verändert und entfremdet sich mit den Jahren. Durch ihre Filme behalten sie sich gegenseitig jedoch immer im Auge. Und so bildet diese Freundschaft trotz allem das Herzstück des Romans.
Eine weitere Figur in diesem Roman ist Jelly, die gelernt hat, sich in fremde Telefonleitungen einzuklinken und auf diese Art und Weise mit Männern ins Gespräch kommt. Sie wird schließlich zum Objekt einer der Dokumentationen von Meadow. Der Beginn von Jellys Geschichte und Perspektive gleicht einem harten Schnitt im Erzählstrang, fesselt einen dann jedoch recht schnell mit der Ruhe und Tiefe, die dem Haupterzählstrang oft fehlt. Spiotta setzt im Erzählen weniger auf eine durchgehende Handlung, sondern mehr auf detaillierte Beschreibungen der Handlungen ihrer Figuren und der Filmpraktiken. Insbesondere die Beschreibung von Meadows fast obsessiven Arbeitsprozessen kann abschreckend wirken. Andererseits macht das enorme Filmwissen, das sich in den Seiten verbirgt mit der häufigen Nennung von Filmtiteln und Regisseuren auch neugierig, sich mehr mit dem Genre zu beschäftigen. Insgesamt ist es ein sehr eigenwilliger Roman. Zugegebenermaßen hatte ich beim Lesen des Klappentextes ein anderes Buch erwartet, als ich schließlich las. Sobald ich mich auf die Geschichte und Stilmittel aber einlassen konnte, hat sie mich dennoch gefesselt.
Dana Spiotta: Die schönere Lüge, Kjona Verlag 2025, 301 S., 25 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Spi 3/1

Erdbeeren und Zigarettenqualm
In „Erdbeeren und Zigarettenqualm“ erzählt Madeline Docherty die Geschichte einer jungen Frau – dem namenlosen Du – und ihres Erwachsenwerdens zwischen Studium, ersten Jobs, Partys, einer chronischen Erkrankung und der alles einnehmenden Freundschaft zu Ella.
Die Erzählerin, die konsequent in der Du-Form schreibt, ist zu Beginn des Romans eine junge Studentin und wir begegnen ihr, als sie gerade das erste Mal Sex hat – mit einem Kommilitonen aus ihrem Gendertheorieseminar. Das ist der Auftakt einer ganzen Reihe von Beziehungen und One-Night-Stands, die mal mehr mal weniger positiv verlaufen und die den Prozess der Selbstfindung der Erzählerin begleiten.
Die Beziehungen der Erzählerin sind teilweise schwer zu ertragen. Immer wieder sind sie geprägt von Machtgefällen, unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen und Entscheidungen der Erzählerin, bei denen ich – insbesondere zu Beginn des Romans – die Augen rollen musste. Und zu oft verliert sich die Erzählerin in ihren Beziehungen und versucht, sich ihren Partner*innen anzupassen. Und leider bleibt ausgerechnet ihre einzige längere Beziehung zu einer Frau ohne Tiefe.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Erzählerin steht allerdings ihre beste Freundin Ella, die sie an der Universität kennenlernt und mit der sie zusammenlebt. Diese Freundschaft mit ihren Auf und Abs durchzieht den Roman wie ein roter Faden. Die beiden machen alles zusammen und für die Erzählerin ist Ella der wichtigste Mensch; jedes Erlebnis ist in den Gedanken der Erzählerin mit Ella verbunden. Und Ella ist eine unglaublich hilfsbereite Freundin. Für jede Sorge hat sie ein offenes Ohr, für jedes Problem eine Lösung. Dass auch dies zu Konflikten führen kann, kommt für die Erzählerin sehr überraschend und sie muss lernen, dass sich Freundschaften im Laufe des Lebens verändern können und manchmal müssen.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Erkrankung der Erzählerin, die sich sehr schnell als Endometriose herausstellt. Eine literarische Verarbeitung dieser Erkrankung ist noch sehr selten, daher ist dies hervorzuheben. Der Roman zeigt anschaulich, wie hilflos Betroffene sind, wie psychisch belastend die Schmerzen und die schlechte (oder nicht stattfindende) Behandlung der Ärzt*innen sind. Der Roman ist mit Sicherheit für eine jüngere Zielgruppe bestimmt. Er ist allerdings so überraschend fesselnd und einfühlsam geschrieben, dass sich auch Leser*innen hineinversetzen können, die sich nicht mehr in ihren 20ern befinden.
Madeline Docherty: Erdbeeren und Zigarettenqualm, Ecco 2025, 222 Seiten, 18 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Doc 1/1
Inga Müller
Alle rezensierten Bücher im Überlbick:
Dana Spiotta: Die schönere Lüge, Kjona Verlag 2025, 301 S., 25 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Spi 3/1
Madeline Docherty: Erdbeeren und Zigarettenqualm, Ecco 2025, 222 Seiten, 18 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Doc 1/1
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