Lesetipp: Luc Jochimsen, Meike Gleim, Lise Vogel, Silvia Federici, bell hooks

Fünf Bücher, verfasst von Frauen innerhalb einer Zeitspanne von 42 Jahren, beschäftigen sich mit dem Thema, wie die Krisen der Welt mit der Unterdrückung von Frauen erklärt und verändert werden können. Allen gemeinsam ist die biographisch hergeleitete persönliche Verbindung zu und Auseinandersetzung mit Texten bzw. Theorien von Bebel, Woolf und Marx.

Zufällig entdeckte ich das Buch von Luc Jochimsen von 1978 im Flohmarktregal von DENKtRÄUME, der Titel „Kennen Sie Bebels Frau?“ sprach mich an. In der Einleitung verweist die damals bekannte Journalistin und promovierte Soziologin Jochimsen auf ihre Geschichte mit dem Buch „Die Frau und der Sozialismus“ von August Bebel, das 1879 erstmalig erschien. Ihr sei das Buch als historisches Dokument bereits vertraut gewesen, habe sich aber erst im Zuge eines zum 100jährigen Jubiläum angefragten Artikels die Frage gestellt: „Und wie ist das mit uns heute?“ Entstanden ist ein knappes Buch von 122 Seiten, das sehr komprimiert Theorie bzw. Anspruch einer sozialistischen Politik und Praxis einer unzureichenden, von Männern und ihrem Machtanspruch geprägten Realität gegenüberstellt. Dementsprechend fällt das letzte Kapitel eher sarkastisch aus, in dem Jochimsen unter dem Titel „Die Frau in der Zukunft“ ausschließlich das letzte Kapitel von Bebel im Original zitiert und damit dokumentiert, dass die bebelsche Utopie weiterhin weit davon entfernt ist, Realität zu sein. 

„Dieses Kapitel kann sehr kurz sein. Es enthält nur die Konsequenzen, die aus dem bis jetzt Gesagten für die Stellung der Frau in den künftigen Gesellschaften ergeben, Konsequenzen, die nunmehr der Leser leicht selber ziehen kann.“ (S. 121) Das im Folgende von Bebel gezeichnete utopische Bild einer gleichberechtigten, freien, gebildeten und auch sexuell selbstbestimmten Frau ist Ende der 70er kaum, heute in ersten Ansätzen, aber noch lange nicht für alle Frauen auf der Welt Wirklichkeit.

Ein ähnliches Vorgehen wie Jochimsen wählt Meike Gleim in ihrem Buch „Was hätte Virginia Woolf dazu gesagt“. Sie nimmt hier als historische Vorlage das inzwischen vor 91 Jahren erschienene Buch „Ein Zimmer für sich allein“ von der im Titel genannten Autorin. Gleim berichtet in ihrer Einleitung, dass sie Woolf fasziniert gelesen habe und befragt sich, was sie so berührt habe an diesem bekannten literarischen Essay. Entstanden ist ein Plädoyer für Feminismus heute, orientiert an den bürgerlichen Idealen von Freiheit und Selbstbestimmung als erfolgreiche Frau, Vamp und Mutter. Gleim befragt dabei ihren normalen Alltag und den von Frauen in ihrer (bürgerlichen) Umgebung auf der Suche nach Mechanismen repressiver und normativer Subjektkonstitution. Sie findet die berufstätige Mutter mit Doppelbelastung, eine gläserne Decke, die Gleichberechtigung bei der Arbeit trotz gleicher Qualifikation den Aufstieg von Frauen verhindert und den Warencharakter des weiblichen Körpers in öffentlichen Medien und in der Werbung.

In einem imaginären Gespräch mit Virginia Woolf am Ende des Buches, versucht die Autorin die gesellschaftlichen Veränderungen der knapp hundert Jahre zwischen der Zeit von Woolf und unserer heutigen Zeit zu vergleichen und kommt dabei zu dem Schluss, dass das in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstandene Motto „das Persönliche ist politisch“, bis heute und darüber hinaus grundlegend bleibt für die Entwicklung eines „neuen Wir, eines queeren Wir, ein Wir, das eine Welt schafft…“ (S. 140)

Einen ganz anderen Zugang benutzt Lise Vogel in ihrem Buch „Marxismus und Frauenunterdrückung“, 1983 in den USA erschienen und nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung verfügbar. Eigentlich besteht die Neuauflage aus vier Teilen, einem Vorwort von Frigga Haug von 2019, dem Buch von 1983, einem Nachwort der Autorin aus dem Jahr 2000 und einer kritischen Würdigung von Susan Ferguson und David McNally zur englischen Neuauflage aus dem Jahr 2013.

Frigga Haug als die Expertin für kollektive Erinnerungsarbeit, setzt sich in ihrer Einleitung nicht wie zu erwarten, mit ihrer persönlichen Geschichte auseinander, sondern beschäftigt sich ausgiebig mit marxistischen Begrifflichkeiten, ihrer historischen Entwicklung und wie diese verwendet wurden und werden. Angefangen bei dem Original von Marx und Engels, über die frühe US-amerikanische sozialistische, materialistische oder marxistische Frauenbewegung der 70er Jahre arbeitet sich Haug bis zur dezidierten Differenzierung des Begriffs soziale Reproduktion und seine Bedeutung in der deutschen zweiten Frauenbewegung vor. Neben der möglichst genauen wissenschaftlichen Abgrenzung, gilt es hier auch die eigene Vertretungsberechtigung als theoretische Vorreiterin eloquent zu verteidigen. Persönliche Erfahrungen fließen lediglich ein in einen historischen Abriss der deutschen feministischen Rezeption und theoretischen Weiterführung marxistisch-materialistischen Denkens seit den sogenannten Kapitalkursen 1971 an der FU Berlin.

Mit den Entwicklungen von Begrifflichkeiten setzt sich dann auch Lise Vogel ausführlich und detailreich auseinander, vom sozialistischen Feminismus über theoretische Ansätze in Originaltexten von Marx und Engels über die Auseinandersetzung mit historischen sozialistischen Bewegungen hin zu der Frauenfrage als Frauenbefreiung. Die Unterdrückung von Frauen wird dabei einheitlich bewertet, alle sind unterdrückt und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung manifestiert die Grenze gesellschaftlicher Teilhabe. Dieses Denken ist damit diametral entgegengesetzt zum Anliegen von Gleim, die das Private im Jahr 2019 einerseits individualisiert, um es anschließend zum Allgemeinen hin zu öffnen sucht. Vogel beschreibt ihren politischen Fokus im Nachwort aus dem Jahr 2000 mit den Worten: „Die Erfahrung von Frauen zeigt noch immer die Notwendigkeit, Hausarbeit und ihre Rolle in der kapitalistischen gesellschaftlichen Reproduktion zu theoretisieren.“ (S. 271)

Im Anhang referieren dann Ferguson und McNally neuere theoretische Strömungen wie den überwiegend von schwarzen Frauen entwickelten Ansatz der Intersektionalität sowie marxistische Forschungsansätze zu Sexualität und Queerness. Mit Vogel plädieren sie für einen marxistischen Feminismus in Theorie und Praxis, der Unterdrückungsmechanismen ohne psychologische, zwischenmenschliche oder ideologische Fragen analysiert und zu verändern sucht, sich damit explizit kritisch positionierend gegenüber den meisten Texten zum Thema Frauenbefreiung.

Viel konkreter geht da Silvia Federici vor, einst Vorreiterin in Italien in den 80er Jahren bei der Kampagne Lohn für Hausarbeit, lebt sie inzwischen als emeritierte Professorin für politische Philosophie und internationale Politik in den USA. Ebenso wie Vogel ist Federici beheimatet in der marxistischen Nomenklatur und Denkweise, jedoch sind ihre aktuellen Analysen international und global orientiert. Bereits der Titel und das pastellfarbene Cover ihres Buches „Die Welt wieder verzaubern“ lädt zu beinahe esoterischen Assoziationen ein, ist jedoch eine Referenz an Max Weber und seinen 1919 auf die Gräuel des ersten Weltkriegs reagierenden Satz von der „Entzauberung der Welt“. Nach Federici besitzt diese Dynamik weiterhin Gültigkeit und braucht eine Verzauberung durch eine gemeinschaftliche Praxis auf der ganzen Welt.

In ihrem Vorwort erzählt sie über die sie prägenden persönlichen Erfahrungen während einer dreijährigen Tätigkeit als Unidozentin in Afrika und mehrjährigen Forschungen in Südamerika. Als ihr Hauptwerk gilt das Buch „Caliban und die Hexe“ (2004, in dt. Übersetzung 2012), das mittels des marxistischen Begriffs „Einhegung“, die koloniale wie kolonisierende Unterdrückung von Frauen, ihrem Körper und des Gemeinschaftseigentums verdeutlicht anhand der seit dem Mittelalter und bis heute praktizierten Form der Hexenverfolgung.

Zentrales Thema des hier besprochenen und 2020 erschienen Sammelbandes mit Artikeln aus verschiedenen Jahren bilden „commons“, ein Begriff, der bewusst nicht ins Deutsche übersetzt wird, vor dem Hintergrund, dass Federici weder einen Vertretungsanspruch für sich reklamiert, noch um Vollständigkeit bemüht ist. Peter Linebaugh zählt folglich in seinem Vorwort lediglich vier Merkmale einer kollektiven Praxis und eines kollektiven Kampfes auf, um sich dem Begriff Commons zu nähern. „1. All der Reichtum soll geteilt werden. 2. Commons erfordern sowohl Verpflichtungen als auch Ansprüche. 3. Die Care-Commons sind auch Gemeinschaften des Widerstandes, die sich allen gesellschaftlichen Hierarchien widersetzten. 4. Commons sind das ‚Andere‘ der Staatsform.“ (S. 17)

Das Buch von Federici besteht aus zwei Teilen, der erste widmet sich den gesellschaftlichen Kontexten von Commons unter dem Gesichtspunkt von Akkumulation, Globalisierung und Reproduktion. Insbesondere die sogenannte Schuldenkrise in Afrika und Südamerika wird dabei als Machtmechanismus identifiziert, um ursprünglich als commons organisierte Zusammenhänge zu zerstören, eine Entwicklung, die auch in China mithilfe von genuin kapitalistischen Handlungsweisen derzeit stattfindet. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildet der marxistische Begriff der „ursprünglichen Akkumulation“, den Federici mittels feministischer Perspektive um die darin nicht berücksichtigte Funktion von Reproduktion erweitert. In einem zweiten Teil finden sich Texte zu verschiedenen Prinzipien und Praktiken von Commons, um „das Potenzial gemeinschaftlicher Beziehungen zu zeigen.“ (S. 124) In insgesamt neun Artikeln setzt sich Federici mit verschiedenen Aspekten von Commons auseinander als Lösungsmodell im Kontext von Ökologie, von Frauenkämpfen in Afrika und Lateinamerika, als Alternative zu einer Technologie-Gläubigkeit sowohl bei Marxisten wie Kapitalisten.

Aus feministischer Perspektive kritisiert sie die Auswirkungen des kapitalistisch ausgerichteten Wirtschaftssystems, das Reichtum ungleich verteilt sowie Macht, Hierarchie und Spaltung vorantreibt. Dagegen sucht eine „feministische Revolution“ Erfahrungen zu verändern, die gesellschaftlich konstruiert und bislang geprägt sind von rassistischen und geschlechtlichen Hierarchien. „Neue Formen des Zusammenhalts und der Kooperation sind zu schaffen auf dem Terrain reproduktiver Arbeit.“ (S. 285)

bell hooks gelingt in ihrem Buch „Die Bedeutung von Klasse“ eine perfekte Verknüpfung von eigener Biographie und Theorieentwicklung, deren Relevanz ungebrochen ist, seit dem ersten Erscheinen des Buches im Jahr 2000. Bei dem immer klein geschriebenen Namen bell hooks handelt es sich um ein Pseudonymder Literaturwissenschaftlerin und Vielschreiberin Gloria Watson. Nach eigener Aussage der Autorin handelt es sich um den Name ihrer schlagfertigen Ur-Großmutter, es geht ihr weniger um ein Verstecken als um Traditionslinien und Identifikation: „Important is the substance of my books and not who I am.“

Zentraler Ausgangspunkt und fortlaufender Bezugspunkt ihrer Analysen bildet Klassismus neben den inzwischen häufiger angewandten Parametern race und gender, welche häufig die Relevanz von Klasse verdecken bzw. diese gar nicht erst berücksichtigen. Die Autorin untersucht historische Entwicklungslinien anhand ihrer ganz persönlichen Erfahrungen im Kontext von allgemeinen US-amerikanischen wirtschaftlichen Bedingungen. Entsprechend heißt das erste Kapitel: „Das Private ist politisch“ und berichtet von einer Kindheit in einer segregierten, überwiegend proletarischen, schwarzen Gemeinde mit Werten wie Solidarität und gegenseitiger Unterstützung sowie Achtung. Diesen explizit christlichen wie auch buddhistischen, ethischen Variablen, stellt hooks in den folgenden Kapiteln einen kapitalistischen Werteverfall gegenüber, hin zu Gier und hedonistischer Individualisierung des Konsums. Diese Entwicklung geht für sie einher mit (Selbst-)Verachtung von Armen und Armut jenseits von Hautfarbe einerseits und einem unbedingten Willen zum Machterhalt bei der herrschenden Klasse andererseits.

Radikalen Feminismus positioniert hooks in den Kontext eines sozialen Wandels, in dem „Bildung zu einem kritischen Bewusstsein der erste Schritt im Prozess feministischer Transformation ist.“ (S. 119) Ihr Verständnis von ungerechten wirtschaftlichen Praktiken ist weniger theoretisch begründet, kommt ohne einen wie die Autorin selber reflektiert „angemessenen Fachjargon“ (S. 176) aus, sondern ist vielmehr mitten aus dem (eigenen) Leben gegriffen.

„Um einen Wandel herbeizuführen, müssen wir wissen, wo wir stehen.“ (S. 19)

Luc Jochismen: Sozialismus als Männersache oder Kennen die „Bebels Frau“?, rororo 1978, 121 S.
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Aae 40

Meike Gleim: Was hätte Virginia Woolf dazu gesagt?, Marta Press 2018, 148 S., 18 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Ggc Woo 7

Lise Vogel: Marxismus und Frauenunterdrückung. Auf dem Weg zu einer umfassenden Theorie, Unrast 2019, 324 S., 19,80 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Aae 34

Silvia Federici: Die Welt wieder verzaubern. Feminismus, Marxismus und Commons, Mandelbaum kritik & utopie 2020, 299 S., 20 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Cgc 50

bell hooks: Die Bedeutung von Klasse. Warum die Verhältnisse nicht auf Rassismus und Sexismus zu reduzieren sind, Unrast 2020, 177 S., 14 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Aae 44

Gabriele Grimm, Teamfrau bei DENKtRÄUME

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