In der Einleitung zu ihrem Buch mit dem Untertitel „Eine feministisch-musiktheoretische Annäherung“ wird der akademische Bezugsrahmen und die aktuelle Forschungslage sofort deutlich, deutlich wird aber auch, wie wenig deutschsprachige Veröffentlichungen es zu diesem Thema gibt, abgesehen vom Standardwerk von Eva Rieger aus dem Jahr 1988.
Persönlich hat mich das Thema bereits Anfang der 80er Jahre interessiert und beschäftigt, als Teil einer Gruppe von feministisch geprägten Musikerinnen. Diese gründete den Verein Frauen machen Musik e.V. 1985, der 7 Jahre hintereinander die ersten Frauenmusikwochen in Deutschland ausrichtete. Später mit dem noch heute bestehenden, immer noch in Ottensen groovenden Frauenmusikzentrum einen Ort schuf für eine kontinuierliche musikalische Praxis von und mit Frauen. An dieser Stelle möchte ich aus gegebenem Anlass Marlis Bredehorst gedenken mit Dank und Respekt für ihre Freundschaft, ihre Tatkraft und ihre Visionen.
Im Gegensatz zu der damals gefühlten rasanten Entwicklung einer sicht- wie hörbaren Veränderung in der professionellen wie nicht-kommerziellen Musiklandschaft, vermittelt das Inhaltsverzeichnis des Buches von L.J. Müller zunächst den Eindruck, dass sich nach fast 40 Jahren nicht wirklich grundlegend etwas verändert hat. Ihre Forschungsarbeit liefert jedoch auch genau die Hintergründe dafür, warum das so ist.
Mit der Frage: „Wie klingt eigentlich Sexismus?“ startet Müller in einen Parforceritt durch feministische wie musikwissenschaftliche Ansätze vor dem Hintergrund der Performanztheorie von Judith Butler, inklusive poststrukturalistischen Schriften Michel Foucaults, des Psychoanalytikers Lacan und der Semiotikerin Kristeva. In ihrer Einleitung referiert Müller aktuelle und allgemeine Forschungsergebnisse der Musikwissenschaften unter verschiedenen feministischen Prämissen. Spezifischer und ausgesprochen ambitioniert wird im 1. Kapitel der Versuch unternommen, „Sexismus, Geschlecht, Popmusik und ein mit der Musik in Beziehung stehender Körper“(S. 28) als „Ganzes“ mithilfe der Theorien von Othering, Performanz und die Foucaultsche Vorstellung von Macht und Körper fassbar zu machen für eine feministisch motivierte Popmusiktheorie. Als Werkzeuge der Analyse von Popmusik und ihrer vielfältigen Bezüge dienen Müller die Begriffe Assoziation, Homologie, Genotext, auditive Lüste, sonischer und vokalischer Körper, deren praktische Anwendung auch auf das eigene Hören von Musik explizit angewendet werden kann.
Die Anwendung dieses komplexen Geflechts auf konkrete Songs führt dann zu einem Ergebnis, das bereits unsere theoretischer Haltung als Musikerinnen damals bildete, nämlich eine vermeintliche Authentizität in einer männlich geprägten Rockmusik und den vielfältigen Möglichkeiten des Spiels mit Aspekten von Weiblichkeit in der Popmusik, allen voran vertreten von der sehr selbstbestimmten und provozierenden Madonna. Natürlich wird diese Verkürzung nicht den komplexen Inhalten im Buch „Sound und Sexismus“ gerecht, in dem sechs bekannte Songs detailliert analysiert werden in ihrer unbewussten Wirkung auf Hörer*innen beispielsweise „Feel“ von Robbie Williams oder Kate Bushs „Feel It“. Die von L.J. Müller als „echte“ Stimme bezeichnete, „produziert eine (phantasmatische, G.G.) Einheit, in der eine Trennung von Stimme, Subjekt und Körper nicht einmal denkbar erscheint.“ (S. 177) Hingegen reproduziert die „fragmentierte“ Stimme ein Begehren erzeugendes „Zeichen für ein Subjekt“ (S. 177). Damit wird die „Distanz zum eigenen Körper zu einem Maßstab dessen, was (erwünschte, intelligible und normative) Weiblichkeit in vielen Popsongs ausmacht.“ (S. 178) Popmusik trägt somit dazu bei, dass verfestigte Strukturen bei der Vorstellung einer geschlechtlichen Binarität und ihrer gesellschaftlichen Machtimplikationen fortlaufend reproduziert werden auf einer sonischen Ebene, d.h. im kulturalisierten Schall. Dieses von L.J. Müller als „ganzkörperliches Involviert-Sein“ bezeichnete Phänomen, gilt es immer wieder sich bewusst zu machen, um eine Reproduktion von Sexismus im Klang zu identifizieren und gegebenenfalls zu minimieren. Dieses Buch ist spannend und lesenswert für Expertinnen und solche, die es werden wollen in einem komplexen Denken, dass sich über Musik hinaus mit Fragen der Konstruktion von Weiblichkeit und deren unbewusster Anteile beschäftigt.
„Es fragt sich, wie wir zu einer anderen, weniger verletzenden Musik kommen, wie wir überhaupt in eine weniger verletzende Welt kommen. Hierauf habe ich keine Antwort. Auf dem Weg dahin muss viel hinterfragt werden, nicht zuletzt unsere Wahrnehmung, unsere ästhetischen Bewertungen, unser Selbstbild, unsere Körper – aber auch die impliziten und expliziten Regeln und Dynamiken des Kontextes, in dem wir leben!“ (S. 183)
L.J. Müller: Sound und Sexismus. Geschlecht im Klang populärer Musik. Eine feministisch-musiktheoretische Annäherung, Marta Press 2018, 199 S., 24 Euro
In unserer Bibliothek entleihbar unter der Signatur: Gc 75
Ele Grimm, Teamfrau bei DENKtRÄUME, Musikerin und Literaturwissenschaftlerin