Lesetipp: Regitz-Zagrosek / Schmid-Altringer, Gendermedizin

Nach der Lektüre dieses Buches, eigentlich schon nach einigen wenigen Seiten, weiß frau, dass es dringend einer neuen – sprich: geschlechtersensiblen – Medizin bedarf. Einer Medizin, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter berücksichtigt und Frauen nicht einfach genauso wie die Männer behandelt. Erschreckend niedrig sind die Zahlen derer, die während ihres Medizinstudiums mit diesem Bereich der Medizin, der Gendermedizin, in Kontakt kommen. Obwohl seit mittlerweile fast einem Vierteljahrhundert zu diesem Thema geforscht wird, ist es immer noch nicht in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit angekommen. (Vielleicht bietet ja dieses Buch die Möglichkeit dazu.) Nur ca. 10 Prozent der Medizin Studierenden in Deutschland werden an ihren Universitäten Seminare zu diesem wichtigen Thema angeboten. Wichtig deshalb, weil weiteres Ignorieren der Tatsache, dass Frauen eine andere, eine eigene Medizin und Gesundheitsversorgung brauchen, die Gesundheit von Frauen, letztendlich sogar ihr Leben gefährdet.

Nach der Lektüre dieses Buches, eigentlich schon nach einigen wenigen Seiten, weiß frau, dass es dringend einer neuen – sprich: geschlechtersensiblen – Medizin bedarf. Einer Medizin, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter berücksichtigt und Frauen nicht einfach genauso wie die Männer behandelt. Erschreckend niedrig sind die Zahlen derer, die während ihres Medizinstudiums mit diesem Bereich der Medizin, der Gendermedizin, in Kontakt kommen. Obwohl seit mittlerweile fast einem Vierteljahrhundert zu diesem Thema geforscht wird, ist es immer noch nicht in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit angekommen. (Vielleicht bietet ja dieses Buch die Möglichkeit dazu.) Nur ca. 10 Prozent der Medizin Studierenden in Deutschland werden an ihren Universitäten Seminare zu diesem wichtigen Thema angeboten. Wichtig deshalb, weil weiteres Ignorieren der Tatsache, dass Frauen eine andere, eine eigene Medizin und Gesundheitsversorgung brauchen, die Gesundheit von Frauen, letztendlich sogar ihr Leben gefährdet. 

Es beginnt schon in der medizinischen Forschung: Der Großteil der Studien und Medikamententests wird an (jungen) Männern durchgeführt. Der Zyklus einer Frau könnte ja schließlich die Ergebnisse beeinflussen und somit die Studie aufwendiger und teurer machen. Die Frau wird erst dann – unfreiwillig – zum Versuchskaninchen, wenn das neue Präparat auf dem Markt ist und sie es von Ihrem Arzt/ihrer Ärztin verschrieben bekommt – sofern es sich nicht um ein zu teures Medikament handelt. Denn Studien belegen, dass Frauen billigere Medikamente verschrieben werden – und oft auch noch zu spät. 

So sieht die Sachlage aus, mit der die Autorinnen in das Thema einsteigen. Das erste Kapitel widmet sich den Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Vieles davon ist nicht neu, aber es ist ein guter, auch für medizinische Laien gut verständlicher Exkurs in die Welt der Chromosomen, Gene und DNA. Besonders fasziniert hat mich das Kapitel über die Epigenetik, denn hier gibt es tatsächlich neue und bahnbrechende Erkenntisse. „Dieses neue Fachgebiet befasst sich damit, wie unser Körper die Aktivität der Gene regulieren kann, ohne die Erbsubstanz DNA zu verändern. Durch die epigenetische Forschung wissen wir heute, dass unterschiedlichste Lebenserfahrungen ihre Spuren hinterlassen und vererbt werden können – und das ist Ihre Chance.“ Wir haben es also – zumindest zum Teil – selbst in der Hand. 

Dem folgt ein Plädoyer für mehr Prävention, Stärken der weiblichen Ressourcen und ein gesundes, achtsames Leben mit Fokus auf sich selbst. Gerade Frauen stellen sich selbst und ihre Bedürfnisse oft hintenan. Die letzten Wochen im Corona-Lockdown haben das wieder verstärkt gezeigt. Die gute Nachricht: Wir sind unseren Genen nicht hilflos ausgeliefert; wir können durch unser Verhalten verändern und steuern – und das nicht nur für uns, sondern über genetische Vererbung auch für weitere Generationen. Die schlechte Nachricht: Die Ausrede „Meine Gene sind schuld“ gilt so nicht mehr. Hier hätte ich mir zusätzlich zu den Handlungsempfehlungen an uns Frauen mehr Informationen über wirtschaftliche und (gesellschafts)politische Faktoren gewünscht, die verhindern, dass die Erkenntnisse der Gendermedizin umgesetzt werden, sowie über die sozialen Unterschiede bei Krankheit und Gesundheit. 

Im Kapitel über Medikamente geht es dann darum, wie sie den weiblichen Körper (anders) beeinflussen. Brauchen Frauen die gleiche Dosis wie Männer? Welchen Unterschied macht der höhere Körperfettanteil von Frauen aus? Was sollte frau rund um die Themen Hormone und Schwangerschaft wissen und beachten? Und vor allem: Welche Wirkungen und Nebenwirkungen haben – an Männern erforschte – Medikamente auf Frauen? Ein Beispiel: Seit Jahren gehört es zum Allgemeinwissen, dass Aspirin Herzinfarkten vorbeugen kann. Wussten Sie aber auch, dass dieser Effekt bei Frauen viel weniger häufig auftritt? Vielen ist das leider nicht bekannt. 

„Was Frauen wissen müssen, wenn sie krank sind“, nennt sich deshalb auch das letzte und sehr ausführliche Kapitel. Es ist eine Reise durch den weiblichen Körper von Herz-Kreislauf- und Immunsystem über Knochen, Gelenke und Organe bis hin zu Gehirn und Psyche. Zu jedem Bereich finden sich wissenschaftliche Erklärungen sowie Tipps und Ratschläge, um beim nächsten Arzt-/Ärztinbesuch gut informiert und besser gewappnet zu sein. Eingegangen wird hier auch noch sehr detailliert auf häufige Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Diabetes. 

Was muss also auf die geschlechtergerechte Agenda? Mehr Studien mit Frauen. Mehr Förderung für frauenspezifische Forschung. Mehr Lehrveranstaltungen an den Universitäten, am besten als Pflichtfach. Mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit für dieses (lebens)wichtige Thema in Wissenschaft, Gesellschaft, Medien. Mehr Frau im Fokus. Mehr Bücher wie dieses, die das Thema fundiert und praxisnah vermitteln. Hier waren eindeutig Expertinnen am Werk. Und die sollen auch das Schlusswort haben: „Es gibt noch viel zu tun!“

Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek / Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer: Gendermedizin. Warum Frauen eine andere Medizin brauchen, Scorpio Verlag 2020, 278 S., 22 Euro

Ausleihbar in unserer Bibliothek unter der Signatur Ica 34

Hier geht´s zum Interview mit Frau Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek

Martina Druckenthaner

(Der bewusste Verzicht auf das Sternchen bei Frauen* soll ein Hinweis darauf sein, dass es sich hier um ein „binäres“ Buch handelt, das ausschließlich an Cis-Frauen gerichtet ist. Inter- und Transmenschen werden nicht berücksichtigt. Intersektionalität spielt hier keine Rolle, Schwarze Frauen* und Women* of Colour werden nicht explizit erwähnt.)

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