Der Titel materializing feminism verweist mit seinem englischen Titel sowohl auf eine globalisierte Post-Moderne, als auch auf Handlungsoptionen mit Gehalt. Die Herausgeberinnen des gut lesbaren Sammelbandes positionieren sich in ihrer Einleitung kritisch gegenüber liberalen und dekonstruktivistischen feministischen Theorie-Ansätzen und deren praktische Implikationen. Sie plädieren für eine Veränderung der kapitalistischen Verwertungslogik mittels kollektiver Verantwortung. Dieses Handeln findet statt auf der Grundlage eines emanzipatorisch ausgerichteten Wissen und Analyse über die Bedeutung von Care-Arbeit und vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die sowohl im Handeln als auch unsichtbar, da ideologisch eingeschrieben, Ungerechtigkeit stabilisiert.
Der Band wird eröffnet mit einem Beitrag von der emeritierten Professorin Gudrun-Axeli Knapp, die in „Mut zur Kontroverse“ Entwicklungslinien in der feministischen Theorieentwicklung aufzeigt. Vor dem Hintergrund ihrer langen Verbundenheit mit feministischer Theorie und Praxis plädiert sie in ihrem Text für ein (wieder) vermehrtes Austragen von Widersprüchen innerhalb der feministischen Diskurse. Ihrer Meinung nach werden Spannungen innerhalb der feministischen Theoriebildung zu wenig ausgetragen, als Folge von internen Abgrenzungsmechanismen und zugunsten einer zentrifugalen Kräften folgende Vielstimmigkeit. So weist Knapp auf die Gefahr hin, dass im Zuge queerfeministischer und intersektioneller Ansätze, Fragen der Identität in den Mittelpunkt rücken. Dieser Dezentralisierung fehlt eine gemeinsame feministische Plattform, die es braucht für kontroverse Auseinandersetzungen mit einander und den Dissens untereinander, die feministische Positionierungen schärfen und weiter entwickeln. Die Autorin plädiert für eine erneute und wiederholte „Politisierung“ (S.25) der Geschlechterverhältnisse , die verankert in theoretischen Diskursen fortlaufend die kritische Analyse von „Genderverhältnissen“ (S. 28) weiter denkt.
Ein institutioneller Rahmen spielt für Knapp (und aktuell auch für DENKtRÄUME) insofern eine zentrale Rolle, als dass die zweite Frauenbewegung der 70er bis 90er Jahre geprägt war von einem „hohen Maß an Kontakten und wechselseitiger Aufmerksamkeit für Akteurinnen in den unterschiedlichen (institutionellen und autonomen) Praxisfeldern“ (S. 31). Heute seien die Praxisfelder gekennzeichnet von einer hohen Professionalisierung und Spezialisierung, begünstigt durch technologisch verbesserte Kommunikationsformen, aber verbunden mit „dem spürbaren Schwinden feldübergreifender Reflexionsräume und Medien“ (S. 32), der eine aktuell wachsende Notwendigkeit von feministischer Gesellschafts- und Wissenschaftskritik gegenüber steht.
Den Abschluss des Buches bildet ein Gespräch zwischen der Herausgeberin Beier und der freien Autorin und Künstlerin Bini Adamczak, die beide zu der neuen Generation von Feministinnen der 2000er Jahre gehören. Unter dem Titel „Feminismus im Herzen der Revolution materialisieren“ (S. 292) formuliert Adamczak einen Ansatz und berichtet über eine langjährige Praxis, die ganz im Sinne von Knapp, verschiedene Diskurse in der Diskussion zusammen bringt. Dazu gehört „mit einer dekonstruktivistischen Brille auf marxistisch-feministische Theorien [zu, G.G.] schauen, um in ihnen die Radikalität freizulegen“ (S. 231), ein (erneutes) Eintreten gegen Dichotomien wie öffentlich vs. privat oder Klassenpolitik kontra Identitätspolitik, für einen materialistischen Queerfeminismus.
Und ein Ende ist nicht abzusehen…
Friederike Beier/Lisa Yashodhara Haller/Lea Haneberg (Hg.): materializing feminism. Positionierungen zu Ökonomie, Staat und Identität, Unrast 2020, 248 S., 16 Euro
In unserer Bibliothek entleihbar unter der Signatur: Aal 44
Gabriele Grimm