Lesetipp: Louise Michel, „Die Pariser Commune“

Gewalttätige Auseinandersetzungen im Mai haben ihre Tradition, in der Nacht vor dem Tag der Arbeit oder für manche auch Walpurgisnacht, fahren noch heute wie seit 1987 in Berlin-Kreuzberg oder im Hamburger Schanzenviertel einige Hundertschaften der Polizei auf, in der Erwartung eines Scharmützels.

Vor 150 Jahren fand in der sogenannten blutigen Maiwoche die Pariser Commune ein gewaltsames Ende mit vielen Toten. Die Commune gilt als erster Versuch eines gelebten politischen Widerstands, mitten im Krieg und Bürgerkrieg. Im September des Jahres 1870 beschlossen die herrschenden Royalisten vor den deutschen Truppen zu kapitulieren. In Paris formierte sich dagegen eine organisierte Bewegung, getragen von Bürgern und Nationalgardisten, unter denen sich viele Arbeiter befanden und nicht zuletzt unterstützt von vielen tatkräftigen Frauen.

Eine von ihnen war Louise Michel, geboren 1833 als uneheliche Tochter eines Adligen, dessen Eltern dafür sorgten, dass ihre Enkelin eine gute Bildung erhielt. Nach dem Tod ihrer Großeltern 1848 musste und konnte Michel als Lehrerin für sich selber sorgen. Sie gehörte zu den zentralen Figuren des kämpfenden Widerstands, wie viele andere wurde Louise Michel am Ende verhaftet und entging nur knapp einer Erschießung, wurde interniert und verbrachte viele Jahre im Londoner Exil. Erst 1895, 25 Jahre nach den Ereignissen übergibt sie einem Verleger ihr Manuskript mit einer detaillierten Schilderung der Ereignisse. Obwohl Frauen in zwei Kapiteln laut Überschrift im Mittelpunkt stehen, also Michel durchaus darin eine Bedeutung sah, ist sie in theoretischer Hinsicht nicht primär eine Feministin im modernen Sinne. Vielmehr bleibt das Frauenbild meist herkömmlichen Rollenvorstellungen verhaftet, nachdem Frauen verantwortlich sind für die Fürsorge gegenüber Männern, als Sanitäterin oder bei der Versorgung der Soldaten. Hinzu kommt jedoch die Forderung des damals neuen bürgerlichen Ansatzes, nach einer breiteren Bildung für Frauen. Schließlich gab es auch Soldatinnen, zu denen sich Michel zählte. Eine im Buch beschriebene Anekdote macht ihre Ausnahmestellung und ihre Eigenständigkeit über alle Gender- und Klassengrenzen hinaus deutlich:

Als mich meine Kameraden eines Nachts wegschickten, weil ich mich ausruhen sollte, sah ich in der Nähe der Barrikade eine verlassene protestantische Kirche, deren Orgel nur zwei oder drei beschädigte Tasten hatte. Ich war gerade dabei, voller Herzenslust darauf zu spielen, als einer unserer Hauptleute mit drei oder vier wütenden Männern im Schlepptau erschien:…

S. 211

Insgesamt bietet das Buch viele Details zur Pariser Commune, die heute als Manifestationspunkt der Moderne gilt. Viele Namen und Orte werden genannt für eine objektive Darstellung, der damals schon unübersichtlichen Ereignisse und Strategien. Nicht historisch Kundigen wird viel Geduld beim Lesen abverlangt, trotz eines umfangreichen erklärenden Registers.

Die Kommune des belagerten Paris markierte sozialgeschichtlich den Beginn einer neuen Epoche, wie es Sebastian Haffner 1987 formulierte ging es, „zum ersten Mal um Dinge, um die heute in aller Welt gerungen wird: Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung, sogar Frauenemanzipation…“.

Louise Michel starb 1905 in Marseille, erschöpft von einer langen Vortragsreise. Überführt nach Paris wurde sie dort sehr schlicht beigesetzt, aber begleitet von einer großen Menschenmasse, die das Begräbnis nicht nur als politische Kundgebung verstand, sondern als letzte Ehrerbietung für eine besondere Frau.

Louise Michel: Die Pariser Commune, Mandelbaum Verlag 2020, 516 S., 28 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Ed 40

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Ingeborg Klünder

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