Gelesen: Linda Scott und Meike Stoverock

Der Feminismus ist im Mainstream angekommen, so geht es aber gar nicht; zwei Bücher zum Ärgern oder Vergessen oder Diskutieren…

„Das weibliche Kapital“ von Linda Scott, einer emiritierten Oxford-Professorin für Innovation, erschienen im Hanser Verlag, verheißt als Titel einen auf Frauen bezogenen Ansatz des Klassikers von Marx. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall, hier gibt es keine Kritik am Kapitalismus zu lesen, sondern eine Anleitung zur verbesserten Ausbeutung von Frauenkraft in einer globalisierten Welt. Unter Umkehrung von Ursache und Wirkung, stellt Scott die These auf, dass Frauen durch mehr Bildung am wirtschaftlichen Wohlstand teilhaben können. Was bedeutet, Frauen müssen ihre Defizite verändern, ohne dass das sexistische wie klassistische System seine Macht infrage stellen müsste. Insbesondere verweist die Autorin auf die vielfältige Unterdrückung von Frauen in der sogenannten dritten Welt, dort bereits lange praktizierte alternative Wirtschaftsformen finden bei Scott nicht statt. Vielmehr strebt sie eine XX-Ökonomie an in XXL-Format mit mehr weiblichen Chromosomen als im vorherrschenden XY-System. Die im wahrsten Sinne Schwarz-Weiss-Zeichnung einer Welt, in der der Kapitalismus schon immer Wohlstand für alle versprochen hat mit dem Ergebnis, dass nur wenige Menschen viel profitieren, während viele ausgebeutet werden, gezwungen in immer prekärere Verhältnisse, vgl. aktuell z.B. „Nomadland“. Den wirtschaftlichen Ausschluss von Frauen und die daraus resultierende Abhängigkeit von Männern konstatiert Scott zwar, reduziert den Hintergrund jedoch auf eine fehlende wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen. Ihr Aufruf für Spenden zur Verbesserung der Bildung von Frauen ähnelt der Entwicklungshilfe, die Globalisierung und Neo-Liberalisierung jetzt nicht nur in die unterentwickelten Länder exportieren möchte, sondern mit den unterentwickelten Frauen die letzten noch fehlenden Teile der Menschheit kolonisieren möchte. Die von Scott postulierte Teilhabe an Macht unter dem Deckmantel der Selbstermächtigung verbleibt der calvinistischen Logik verhaftet: „Sei Deines Glückes Schmied“. Strukturelle Gewalt von Sexismus, Klassismus bis Rassismus bleiben negiert, trotz vieler kritischer Ansätze und Literatur dazu, die ignoriert werden.

„Der Umgang mit Frauen ist eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Vielleicht aus Angst vor der schmerzhaften Realität haben wir uns zu lange geweigert, genau hinzusehen.“ (S.347)

Ein genaues Hinschauen und eine wissenschaftliche Analyse der jahrtausendealten Unterdrückung von Frauen verspricht die promovierte Biologin mit dem Schwerpunkt Evolutionsökologie Meike Stoverock in ihrem Buch „female choice, vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation“ erschienen bei Klett-Cotta. Im Gegensatz zu Scott, die eine Vulnerabilität des weiblichen Geschlechts aufgrund ihrer Gebärfähigkeit konstatiert, sieht Stoverock hier die biologische Wurzel für eine evolutionär rückwärts gewandte zukünftige Veränderung der Geschlechterverhältnisse. Mit der beginnenden Sesshaftigkeit von Menschen vor 10.000 Jahren mussten Männer dafür sorgen, dass ihre Nachkommen tatsächlich ihre waren, denen das Eigentum vermacht werden konnte. Das im Tierreich vorherrschende Prinzip der „female choice“ meint, dass Männchen sich die sexuelle Gunst der Weibchen erkämpfen müssen, während diese das Privileg der Entscheidung besitzen vom Käfer bis zum Menschen. Biologische Sachverhalte als „wertfreie Tatsachen“ (S. 13) zu verkaufen, halte ich ebenso für unwissenschaftlich seit Poppers Kritik am Positivismus oder dem Foucaultschen Machtbegriff wie auch die damit argumentativ konsolidierte dichotome Geschlechterordnung. Der betont lockere, z.T. arg suggestive Schreibstil der Autorin beeinflusst sicherlich die Verkaufszahlen positiv, wie es sich in Bestsellerlisten abbildet, die postulierte Wissenschaftlichkeit bleibt jedoch auf der Strecke. Alles in allem sieht Stoverock eine neue Entwicklung über die nächsten 30 Jahre, was angesichts Millionen von Jahren der Evolution sehr sehr kurz erscheint, in denen Frauen ihre Macht von vor der Sesshaftigkeit zurück gewinnen werden, wenn sie denn Sorge tragen für die Männchen, die aggressiv reagieren, wenn sie ohne Sex bleiben.

„Die Welt ist in Bewegung, spüren Sie das auch?“ (S. 11)

Ja und das nicht erst seit dem 21. Jahrhundert, aber nicht so wie Stoverock oder Scott die Geschlechterverhältnisse analysieren und vermeintliche Veränderung positionieren.

Linda Scott: Das weibliche Kapital, Hanser Verlag 2021, 416 S., 26 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Cgc 53

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Meike Stoverock: Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation, Tropen Verlag 2021, 352 S., 22 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Ea 44

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Ele Grimm

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