Stock wurde 1970 in England geboren und ist laut Times eine „left-wing lesbian“. Als Philosophieprofessorin lehrte sie seit 2003 in Sussex und wurde 2021 aufgenommen in den „Order of the British Empire“ wegen ihrer Verdienste in der Erziehung. Heftige Reaktionen auf ihr Buch „Material Girls“ von Gegner:innen wie Befürworter:innen hätten zu Panikattacken geführt, worauf sie entschied, England und ihren Lehrstuhl zu verlassen, um nun in den USA zu unterrichten. Erfreulicherweise nimmt eine laute und wütende Kritik von Frauen zu; oft auch in der Replik auf einen digitalen Shitstorm wird der Ton rauer, aber weder persönliche Angriffe, noch eine in ein wissenschaftliches Gewand gehüllte Polemik sind akzeptabel.
In der Streitschrift „Material Girls“ von Kathleen Stock ist schon der Titel irreführend, denn die meisten Menschen assoziieren damit einen Song von Madonna, die nun wahrhaftig nicht dafür bekannt ist, ihr biologisches Geschlecht in den Vordergrund zu stellen, sondern dessen selbstbestimmte Inszenierung. Im Übrigen geht der Materialismus ja gerade davon aus, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt. Aber genau darin besteht die Argumentationslinie von Stock, ein imaginiertes weibliches Wir sollte doch zurückkehren zu den eigenen biologischen Wurzeln und sich tunlichst nicht von „Transaktivist:innen“ manipulieren lassen, die als Feindbild von ihr ausgemacht wurden.
Leider hat Stock die Chance verpasst, eine Kritik zu formulieren an den neoliberalen Aspekten der Diversität. Welche Interessen z.B. Google und Facebook haben, um eine möglichst differenzierte Selbstbezeichnung der geschlechtlichen Ausrichtung für eine ebenso zielgenaue bis innovative Werbung zu haben. Auch der Aspekt, dass im Namen der Freiheit eine begriffliche Enge bis Zensur produziert wird, wird nicht wirklich aufgegriffen.
Statt dessen postuliert Stock vier (philosophische) Axiome zu dem Thema nichtbiologische, aber gefühlte Geschlechtsidentität, die sie den „Transaktivist:innen“ unterstellt. Hierbei handelt es sich um Unterstellungen seitens der Autorin, die in ihrer Verallgemeinerung schon stutzig machen, obwohl sie intellektuelle Klarheit suggerieren, inhaltlich jedoch negative Reaktionen auch in der Rezensentin evozieren.
„Material Girls“ unterlässt es, die entscheidenden Differenzierungen der LGBTQI+ Begrifflichkeiten aufzugreifen, sondern subsumiert diese unter dem Begriff „Transmenschen“. Der (fortschrittlichen?) Bewegung geht es ja gerade darum, Geschlechtsidentitäten infrage zu stellen, doch Stock findet im Umkehrschluss Butler natürlich kontraproduktiv für ihre eigene Argumentation für eine eineindeutige geschlechtliche Identität, die sie im Grunde genommen wieder anstrebt. Ihrem Feindbild unterstellt Stock letztendlich eine Identitätspolitik, die sie selbst in einer orthodoxen Haltung unter dem Banner der Wahrheit betreibt. Ihre Forderung konkret umgesetzt, lautet letztendlich, dass Transfrauen Männer bleiben und deshalb aus weiblichen (Schutz)-Räumen ausgeschlossen bleiben sollten – philosophisch begründet in einer biologistischen Fundierung des Geschlechts und des Begehrens.
Sicherlich wird der Mensch Kathleen Stock sich gegenüber „Transmenschen“ respektvoll verhalten, wie auch in der Presse vermerkt, allerdings lässt ihr Diktum außer Acht, dass der von ihr kritisch benannten moralischen Verpflichtung zur Anerkennung und zum rechtlichen Schutz von „Transmenschen“, eine sehr reale Gewalt in der Mehrheitsgesellschaft gegen das „Andere“ gegenübersteht.
Um nicht selbst als Rezensentin in eine ausschließliche Polemik zu verfallen, hier noch ein paar Anmerkungen:
Während der Klappentext noch wirklich neugierig macht, kann frau sich fragen wie es kommen kann, dass der Inhalt subjektiv wahrgenommen, so wenig vom Angekündigten einlöst. Liegt es gar an der Übersetzung, wenn der extensiv auftauchende Begriff „Geschlechtsidentität“ im Namen der Aktivist:innen und der Autorin, eigentlich „Genderidentität“ meint.
Der Sprachduktus der Autorin ist wenig zugänglich, nicht weil er zu komplex wäre, sondern in seiner Art und Weise sowohl geduldig, sprich langatmig Argumentationsketten verfolgt, als auch eindeutige Setzungen macht, die sich gefühlt widersprechen. Entgegen dem von der Autorin postulierten Anspruch, Philosophie verständlich machen zu wollen, erscheint der Stil von „Material Girl“ eher verworren und polemisch, trotzdem bleibt das Buch argumentativ interessant und diskussionswürdig.
Ich danke Wiebke und Gunda für die angeregte Diskussion zu dem Buch „Material Girls“ von Kathleen Stock.
Kathleen Stock: Material Girls, Tiamat 2022, 383 S., 26 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Aad 52
Ele Grimm