Lesetipp: Cho Nam-Joo: „Kim Jiyoung, geboren 1982“ und „Miss Kim weiß Bescheid“

Die Autorin Cho Nam-Joo führt die Leser*innen mit ihren beiden Werken ein in die Lebenswelten koreanischer Frauen aller Generationen. In ihrem Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist die Protagonistin – Kim Jiyoung – eine koreanische Frau in ihren Dreißigern. Das vermeintlich sorgenfreie Leben, das sie als verheiratete Hausfrau und Mutter zweier Kinder lebt, bekommt Risse, als sie beginnt sich zunehmend auffällig zu verhalten und in andere Persönlichkeiten zu schlüpfen. Alles eskaliert bei einem Besuch bei den Schwiegereltern, was letztlich ihren Mann dazu veranlasst sie zu einem Therapeuten(sic!) zu schicken. In chronologischer Abfolge von 1982 bis 2015 (die koreanische Originalausgabe erschien 2016) werden in mehreren Kapiteln die einzelnen Stationen ihres Lebens mit all seinen Herausforderungen beschrieben: In der Kindheit/Jugend die Bevorzugung ihres jüngeren Bruders gegenüber ihr und ihrer Schwester durch die Eltern und die Großmutter und das Herunterspielen sexuell-belästigender Übergriffe von Fremden durch ihren Vater. In späteren Jahren der Leistungsdruck, die Diskriminierungen bei der ersten Jobsuche und in der Arbeitswelt und die anschließene Erwartung, den mühsam ergatterten Job für die Familiengründung als Frau selbstverständlich wieder aufzugeben. Und letztlich wird die Überforderung durch Kindererziehung und die gesellschaftliche Stigmatisierung, jetzt ja nur auf der faulen Haut zu liegen, beschrieben. Auffallend ist hier die unaufgeregte, nüchterne und beobachtende Beschreibung der einzelnen Szenen, die scheinbar nicht mehr wollen als genau das: nüchtern und unaufgeregt beobachten und bespielhaft aufzeigen mit welchen Herausforderungen, Belastungen und Diskriminierungen sich Frauen der Generation von Kim Jiyoung durch die koreanische Gesellschaft ausgesetzt sehen. Lösungsvorschläge oder auch eine Rebellion werden nicht angeboten, vielmehr lässt sich die Geschichte als Bestandaufnahme und Dokumentation verstehen, die durch ihren scharfen Blick geschlechterbedingte gesellschaftliche Missstände aufzeigt.

„Miss Kim weiß Bescheid“, erstmals 2021 erschienen, verfolgt eine ähnliche Intention wie das Vorgängerbuch, jedoch werden dieses Mal Lebensausschnitte von acht Frauen zwischen 12 und 80 Jahren beschrieben, deren vermeintlich einzige Gemeinsamkeit es ist, in der koreanischen Gesellschaft zu leben. Ausschnitte aus den Lebensrealitäten der einzelnen Protagonistinnen werden in kurzen Situationen beschrieben und zeigen auf, was es bedeutet in Korea eine Frau zu sein: in der Schule, im Berufsleben, in toxischen heterosexuellen Beziehungen, als Schwester, Mutter, alleinstehende, verheiratete oder verwitwete Frau und welche gesellschaftlichen Erwartungen daran geknüpft sind. Während jedoch „Kim Jiyoung, geboren 1982“ noch den Eindruck einer gewissen Passivität und auch Ausweglosigkeit der Protagonistin aus der eigenen Lebenssituation vermittelt, zeigen die Protagonistinnen in „Miss Kim weiß Bescheid“, den Willen, ihre eigenen Wege zu gehen und sich auch aufzulehnen gegen Ungerechtigkeiten – sei es das Verlassen einer toxischen Beziehung, das Anzeigen sexueller Belästigung in der Schule oder die schlichte Absage einer Großmutter, sich wie gesellschaftlich erwartet an der Erziehung des Enkels zu beteiligen, und sich stattdessen den durch die Familie bedingten, Jahrzehnte zurückgestellten Wunsch zu erfüllen, nach Kanada zu reisen, um die Polarlichter zu sehen.

Beide Werke der Autorin zeigen sehr präzise die Vielfalt von Frauenbeziehungen in der koreanischen Gesellschaft – allerdings ausnahmslos heterosexueller Frauen, was schon ein kleines Manko ist. Nichtsdestotrotz sind Cho Nam-Joos Beobachtungen sehr scharf und auf den Punkt, so dass sie spannende Einblicke geben in die aktuellen Rollenanforderungen von Frauen in der koreanischen Gesellschaft.

Cho Nam-Joo: Kim Jiyoung, geboren 1982, Kiepenheuer & Witsch 2021, 206 S., 18 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Cho 2/1

Cho Nam-Joo: Miss Kim weiß Bescheid, Kiepenheuer & Witsch 2021, 302 S., 22 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Cho 2/2

Ojdana Triplat

Kommentare sind geschlossen.