Rückblick auf die Veranstaltung „Feministische Debatten zu Körpernormen“

Paula-Irene Villa (li.) und Magda Albrecht

Zwei ausgesprochen lebendige, bewanderte und sich ergänzende Referentinnen machten die Veranstaltung zum Thema „fat“ am 25. Mai 2023 mit seinen vielen Facetten zu einem Ereignis.

Die Aktivistin Magda Albrecht ist bekannt als Bloggerin und leidenschaftlich in den drei Bereichen „Musik, Schreiben und Politik“ unterwegs. Ihr Buch „Fa(t)shionista“ aus dem Jahr 2018 beschreibt flott die eigene nicht nur Leidens-Geschichte mit einem Äußeren, dass nie der Norm entsprochen hatte. Während eines Studienaufenthaltes in den USA erlebt sie die dort bereits ausgeprägteren Gegenbewegungen zu dem, was auf Deutsch sperrig Dickendiskrimierung genannt wird. „Körperfett ist politisch“, diese Botschaft trägt Magda Albrecht seither weiter in die Welt in Anlehnung an die 2004 von der Künstlerin Amanda Piasecki initiierte Online Community Fatshionista. Diese ist nun eine auch in Deutschland verbreitete Plattform, um sich über Mode, Tipps und Politik aus zu tauschen. In der Modewelt gibt es seither Nischen, die diverser angelegt sind, um die Heidi Klum und ihr Konzern auch nicht herumkommen.

Bei der Veranstaltung von DENKtRÄUME übernahm Magda Albrecht den Part, die Bewegung der fat power vorzustellen. Vor über 50 Jahren formierte sich in den USA, zunächst geführt von Männern, Widerstand gegen die Diskriminierung von hochgewichtigen Menschen.Die erste politische Aktion fand 1967 nach dem Vorbild der studentischen sit-ins als „fat in“ sitzend und unübersehbar im Central Park von N.Y statt. Seit dieser Zeit bleibt der Kampf der Fat Aktivist:innen um Anerkennung des Menschenrechts auf das eigene Gewicht und damit eine rechtliche Gleichstellung mit anderen diskriminierten Gruppen aktuell. Die zweite Frauenbewegung und nicht zuletzt feministische Therapeutinnen wie auch Susie Orbach, wiesen auf die für Frauen als Objekte männlichen Begehrens besonderen Bedingungen hin. Die allgegenwärtigen Bilder idealer Weiblichkeit, führten zu einem auf die nicht idealen Teile, d.h. partiellen statt ganzheitlichen Blick auf sich selbst. Der eigene Körper wird zum Objekt, zu einem Bild der Verkörperung und verbunden mit Abwertung und Scham.  Am 6.5.1992 wurde eher zufällig der erste Anti-Diät-Tag von Mary Evans Young ausgerufen als Widerstand gegen die profitable Ernährungsindustrie. Der BMI (Body-Mass-Index) legt die Grenze fest zwischen gut und schlecht. Unterstützt von der Medizin werden vermeintliche Fakten geschaffen, wobei der BMI eigentlich eine politische Größe darstellt. Dagegen hielt die „body positivity“ Bewegung seit Beginn der 2000er Jahre die Fahne der Selbstakzeptanz hoch und das mit viel öffentlicher Beachtung. Der verbreitete Selbsthass von Frauen auf ihren Körper konnte damit sicherlich reduziert werden, doch in der anschließenden Diskussion wurden auch die Grenzen dieser noch heute aktuellen Bewegung deutlich. Die geforderte Selbstliebe individualisiert die gesellschaftliche Ausgrenzung gemäß dem neoliberalen Zeitgeist ohne Kontext. Auch ist eine institutionalisierte Bewegung häufig mit ausschließenden Praktiken und Überzeugungen verbunden, wie z.B. mit dem Argument der Gesundheit werden Menschen ausgegrenzt. Der immer auf Diversifikation des Angebots angewiesene Markt absorbiert gerne fortschrittliche Ansätze für seine eigenen Profitinteressen, so etwa in der Verniedlichung „curvy“ wiederum als Modell für Anpassung dienend. Der Widerstand der fat liberation Bewegung in ihrer kollektiven und politischen Forderung nach „fat people unite“ und „we believe in respect and recognition“, so im Fat Liberation Manifesto vom November 1973, ist folglich in den heutigen Zeiten wichtiger denn je als Praxis.

Den zweiten Teil der Veranstaltung bestritt die Professorin Paula-Irene Villa, die das u.a. von ihr herausgegebene Buch „Fat Studies, ein Glossar“ vorstellte.

Die fat studies haben sich als akademisches Feld eher außerhalb von Deutschland etablieren können. Auf der Grundlage eines inter-, multi- und transdisziplinären Verständnisses, gilt es aus unterschiedlichen Perspektiven die gesellschaftliche Position von „fat“ zu analysieren. Den fat studies geht es dabei weniger um die Definition von Fakten, sondern sie schaffen ein Gegengewicht zu medizinischen Argumenten einhergehend mit Pathologisierung. Vielmehr geht es um ein Infragestellen der Normierungen einschließlich der Hierarchisierung von Wissen und seine Aneignung, als Beispiel sei auf die Glosse über die Geschichte der Kalorie und des BMI im Glossar hingewiesen. Die sogenannte Biopolitik wird benannt und kritisch hinterfragt in ihren Praktiken, denn gerade der damit verbundene Stress für eine große gesellschaftliche Gruppe macht krank. Biopolitik positioniert sich in dem Spannungsfeld zwischen Körperlichkeit mit ihrer augenscheinlichen Natürlichkeit und deren gesellschaftlich, politische Vereinnahmung. Bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts ist der naturalisierte Ausschluss der/des Anderen zu verzeichnen, einhergehend mit Gewalt, Entrechtung und Ausbeutung von Menschen, denen ihre Humanität abgesprochen wird. Darunter fallen im patriarchalen Machtsystem noch vermehrt Frauen als sexualisiertes Objekt und unbezahlte Reproduzentin. Heutige Auswirkungen von Normierung sind zwar weniger offensichtlich, jedoch noch immer eingeschrieben in den Körper, der ein intersektionales Element der sozialen Ordnung bleibt u.a. mit den Praxen Sport, Schönheit und Begehren.

Das Buch fat studies ist im open access allen Interessierten zugänglich, vereinigt insgesamt 66 Texte verschiedener Autor:innen, alle eher kurz und knackig. Angeordnet in alphabetischer Reihenfolge ergibt sich ein Nachschlagewerk zu allen Aspekten, die das Thema Gewicht zu einem politischen machen. Beispielsweise der von Paula-Irene Villa verfasste Beitrag zum „Schwabbeln“ beschäftigt sich lustvoll mit dem im Schwabbeln enthaltenen Eigensinn. Die heutige Gesellschaft hat vor nichts mehr Angst als vor auslaufenden Körpern, die monströs und nicht kontrollierbar sind. Doch es gibt kein Entkommen aus der Struktur der Identität, die sich als solche trotz Widerständigkeit sofort wieder vereinnahmen lässt, etwa sexualisiert und fetischisiert im Begehren des Wilden oder Fremden.

Dieser Abend und auch die Lektüre bieten Empowerment auf allen Ebenen: der Kopf ist gefragt, aber auch die Selbstwahrnehmung und die soziale Verbindung. Gerade das Thema fat, angesiedelt zwischen vermeintlicher Natur und normierend eingreifender Biopolitik, macht deutlich, dass ein Gegenentwurf nie einer sein kann. Was bleibt ist das Changieren, die Ambiguität bei kritischem Blick auf Ausschlussmechanismen und positivem Blick auf Handlungsmöglichkeiten.

Literatur:

Anja Herrmann, Paula-Irene Villa et. al.: fat studies, ein Glossar, transcript verlag 2022, 300 S.

Bei uns in der Bibliothek ausleihbar unter der Signatur Iaa 53

Magda Albrecht: Fa(t)shionista, Ullstein 2018, 331 S.

Bei uns in der Bibliothek unter der Signatur Iaa 44

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