Glasgow, Schottland November 2025 – mehrere Patienten eines Krankenhauses sterben innerhalb weniger Tage an einer unerklärlichen Sepsis. Schnell wird klar: Es ist ein sich rasend schnell verbreitender, hochgradig tödlicher Virus. Christina Sweeney-Baird zeichnet in ihrem Debütroman die Ausbreitung und Bekämpfung dieses Virus nach, der, als Pest bezeichnet, stark an die Corona-Pandemie erinnert. (Erstaunlich oder auch schaurig ist hierbei, dass der Roman laut der Autorin vor der Pandemie entstanden sei.) Es gibt jedoch einen sehr interessanten Unterschied zu Corona: An dieser „Pest“ sterben nur Männer, Frauen können den Virus zwar übertragen, sind aber vollkommen immun dagegen. Und damit wird in der Geschichte ein interessantes Gedankenexperiment unternommen: Wie würde unsere aktuelle Welt sich entwickeln, wenn 90 Prozent der biologisch männlichen Bevölkerung ausgelöscht wären und Frauen diese (notgedrungen) übernähmen? Nach ersten Aufständen und Befürchtungen über den Zusammenbruch grundlegender gesellschaftlicher Infrastruktur: Militär, Verkehr, Wirtschaft (da überwiegend Männerdomänen), nehmen Frauen die zwangsweise freigewordenen Rollen ein und die Welt dreht sich – so gut sie es unter diesen nie dagewesenen Bedingungen kann – weiter. Einer möglichen Utopie, dass eine Welt in Frauenhand per se eine besser sei, versetzt Sweeney-Baird hierbei einen klaren Dämpfer. Letztlich übernehmen die Frauen, führen Kriege und Aufstände, morden, bereichern sich am Verkauf entwickelter Impfstoffe und stehen den jetzt toten Männern in dieser Hinsicht in fast nichts nach. Es ist eine erwartbare Entwicklung, die wenig ideenreich oder inspirierend wirkt und daher für mich auch nicht die Stärke der Geschichte ausmacht. Dieses realistische Weiterspinnen ist aber ein gelungener Hinweis darauf, dass (biologisches) Geschlecht in keiner Weise Aussagen darüber rechtfertigt – aber auch nicht darauf hoffen lässt –, dass die Dinge besser oder schlechter laufen könnten.
Die Stärke von Sweeney-Bairds Buch sehe ich vielmehr in der individuellen und persönlichen Ebene, die es beschreibt. Die Geschichte ist fast ausschließlich erzählt aus den Perspektiven verschiedener Frauen – Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen, Behördenmitarbeiterinnen, Journalistinnen, Angestellten, Arbeiterinnen, Bürgerinnen. Diese sind auch Mütter, Ehefrauen und Töchter und die meisten verlieren die Männer in ihrem Leben (Vater, Partner, Söhne, Brüder) oder sind mindestens von ihnen isoliert. Ihren Umgang damit schildert die Autorin auf eine sehr berührende Weise und lässt so auch die persönliche Tragik einer solchen Ausnahmesituation und dem Leben danach deutlich werden, die wir in Hinblick auf die hinter uns liegende Corona-Pandemie sicher alle bis zu einem gewissen Grad nachempfinden oder gar selbst erlebt haben.
Eine Geschichte, die nachfolgenden Generationen die Corona-Pandemie fiktiv sowohl in globaler als auch persönlich individueller Hinsicht näherbringen kann. Feministisch in dem Sinne, dass sie zeigt, dass biologisches Geschlecht allein die Welt nicht besser/schlechter machen wird. Jede möge davon halten, was sie will.
Christina Sweeney-Baird: Die andere Hälfte, Diana 2021, 494 Seiten, 18 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Swe 1/1
Ojdana Triplat