Vorstellungen zu einer sexuellen Revolution oder: Leiden in Theorie und Praxis bei Nolan, Penny, Hrastelj und Shparaga
Triggerwarnung: Die Bücher thematisieren sexuelle, sexualisierte und psychische Gewalt, Vergewaltigung, Gewalt in Partnerschaften, selbstverletzendes Verhalten.
Verzweiflungstaten
Eine namenlose Ich-Erzählerin leidet in dem sofort übersetzten Debütroman von Megan Nolan, einer 1990 geborenen irischen Journalistin, die das Buch ihren Eltern widmet. Der Klappentext verspricht „eine aufrichtige Selbstbeobachtung, die Geschichte eines weiblichen Begehrens, das sich hinweg setzt über die eigenen Bedürfnisse – intim, verletzlich und hypnotisch …“ Keine rosarote Vision einer romantischen Partnerschaft, gerade wegen oder trotz einer eingehenden Beschreibung einer On-Off-Beziehung aus der Sicht des weiblichen Parts, dem sich der männliche mehr und mehr entzieht, klassisches Sujet des weiblichen und männlichen Narzissmus, natürlich nicht im biologischen Sinne. Der Roman kommt daher als authentisch anmutendes Tagebuch, die Kapitel überschrieben mit Monat, Jahr und Ort. Die quälende Selbstoffenbarung beginnt im April 2012 und endet im September 2014 mit der Flucht der Protagonistin nach einer Vergewaltigung durch ihren Ex-Partner. In Griechenland gewinnt sie eine nicht nur räumliche Distanz, wie Einsprengsel aus Athen 2019 von Beginn das Buch durchziehen. Daraus folgendes Zitat: „Ich empfinde Frauen, denen auf die gleiche Weise Gewalt angetan wurde wie mir, nicht als Gleichgesinnte, da erwächst kein schwesterliches Band aus unseren Erfahrungen. Die inhärente Verletzlichkeit der vergewaltigten Person, ihre (meine) implizierte Schwäche, Weichheit ekelt mich an.“ (S. 47) Interessanterweise kann ich der Ich-Erzählerin da nur recht geben: Die Zeugenschaft weiblicher unlustvoller Unterwerfung in einer als toxisch bereits gekennzeichneten Gewaltbeziehung hat nichts mit einer wie auch immer feministischen Haltung oder gar Kritik zu tun. Das gilt strukturell leider auch für das folgende Buch.
Megan Nolan: Verzweiflungstaten, Blumenbar 2021, 299 S., 20 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Nol 2/1
Sexuelle Revolution
Das neue Buch der Pop-Ikone des Feminismus Laurie Penny, geboren 1986 in London als Tochter zweier Rechtsanwälte mit jüdischen, irischen und maltesischen Wurzeln. Bereits zu Beginn der 2000er bekannt geworden als Bloggerin, hat sie inzwischen sieben Bücher geschrieben, das bekannteste „Unspeakable Things“ zu ihren Erfahrungen mit Anorexie als Heranwachsende.
Der Originaltitel „Sexual Revolution, Modern Fascism and the Feminist Fightback“ verweist auf klare Fronten, der deutsche Klappentext verheißt dazu mitreißend: „Eine Geschichte über die Krise der Demokratie, die Krise der weißen Männlichkeit und die Rückzugsgefechte derer, die Angst vor Machtverlust haben.“ Dennoch geht es zunächst um Sex im engeren Sinne, unter persönlichen und kritischen Vorzeichen in sieben von vierzehn Kapiteln. Penny entfaltet hier ein düsteres Tableau von Beklemmungen im Bett, über normierte Vorstellungen bis hin zu Pornografie, Prostitution und „Traumapolitik“. Zur sexuellen Revolution gehört nach Penny vor allem, Gewaltsysteme nicht mehr als normal zu empfinden. Ihre Strategien von missbrauchendem, sexistischem wie rassistischem Verhalten vorwiegend gegenüber Frauen und POC, sollten als systematisch entlarvt werden. Gegen alltägliche Gewalt aufzustehen, sie zu benennen mit allen persönlichen Konsequenzen, erfordert Mut einzelner Frauen. Die #metoo-Bewegung konnte diese Frauen miteinander verbinden, aber die Frage bleibt, wie dieser Widerstand das System revolutionär verändert hat oder wieder vom System geschluckt bzw. kapitalisiert wurde z.B. mit Statement-T-Shirts. Der direkten Gewalt stellt Penny, wiederum überwiegend im sexuellen Universum angesiedelt, eine Kultur des consent entgegen, die Praxis der Einwilligung, welche sich vor allem an Hochschulen in den USA etablieren konnte. Ob ein verändertes sexuelles Verhalten die Attraktivität bzw. Wählbarkeit von Potentaten verändert, bleibt fraglich, denn die gewinnen gerade ihre Wähler:innen über die Identifikation mit ihrer Skrupellosigkeit. Dem hält Penny entgegen: „Das Verhältnis von politischer und sexueller Einwilligung ist nicht das einer Analogie, sondern einer Wechselwirkung.“ (S. 37)
Neben dem häufig von Rezensent:innen gemachten Vorwurf der mangelnden Differenziertheit, empfand ich nahezu körperlich sehr problematisch, dass das umfangreiche, sprachlich brillante Pamphlet in seiner Wut über und Anprangerung von Missständen, etwas mit seinen Leser:innen macht in der sich permanent wiederholenden Benennung männlicher Gräueltaten, verknüpft mit einer sprachlich nahezu masochistisch anmutenden Lust. Die Rezensentin jedenfalls musste das Buch nach der Hälfte einfach frustriert statt wütend beiseitelegen.
Laurie Penny: Sexuelle Revolution, edition nautilus 2022; 381 S., 24 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Baa 30
Persönlicher Exkurs: Passend dazu hier die unterschiedliche Wirkung von zwei Theaterbesuchen innerhalb von drei Tagen: zunächst die antike Iphigenie, die von ihrem Vater für den Krieg geopfert wurde, in einer aktualisierten Neufassung durch ein weibliches Team aus Regisseurin, Autorin und Dramaturgin. Letztere bezog sich in ihrer Einführung zur Inszenierung explizit auf Laurie Pennys „Sexuelle Revolution“ und Virginie Despentes „KingKong Theorie“, nach der Gewalterfahrungen sublimiert werden können zu hybrider, wilder Widerständigkeit. Nach eingehender Darstellung der männlichen Machtmechanismen ging ich entmutigt und still aus dem Theater, in dem ich drei Tage später wieder aufgebaut wurde mit einer kleinen, aber feinen Inszenierung von Annie Ernauxs „Das Ereignis“ (unsere Rezension zum Roman). Das Ereignis ist der sehr persönliche wie ausgesprochen reflektierte Bericht über eine Abtreibung, als diese noch verboten waren. Die Ich-Erzählerin ist dabei sehr auf sich allein gestellt mit ihrem festen Willen, kein Kind bekommen zu wollen. In der theatralischen Umsetzung wird die Ich-Erzählerin verkörpert durch drei Frauen, die mittels langer Wollfäden sich ver- und entwickeln, über und unter einer abstrakten, überdimensionierten weiblichen Gestalt kletternd und rutschend. Diesmal ging ich gestärkt nach Haus.
Batseba
Kulturelle Verarbeitungen der biblischen Gestalt Batseba, übersetzt Tochter der Fülle, gibt es viele von mittelalterlicher Malerei bis hin zu einem Monumentalfilm im Jahre 1951, über Literatur bis zum wohl bekanntesten Song von L. Cohen „Halleluja“. Diese Bandbreite verweist auf die klassische und somit zeitlose Aktualität des Stoffes. Stanka Hrastelj, geb. 1975 in Brežice, die als Lyrikerin und Übersetzerin in Krško, Slowenien lebt, übernimmt die Geschichte und changiert zwischen den biblischen Zeiten und dem Slowenien von heute in poetischer bis eindeutig benennender Sprache.
Batseba beginnt daher mit der Widmung „Für Freunde der Poesie“ bei gleichseitiger Triggerwarnung vor selbstverletzendem Verhalten und sexueller Gewalt, kein Widerspruch also. Die vom Verlag gepriesene „emanzipatorische Neuinterpretation“ der biblischen Geschichte von Batseba und König David beginnt im heutigen Slowenien und wie die Hauptfigur eine Vergewaltigung als Jugendliche vor ihren Freundinnen als spannende Erfahrung neu erfindet. Später setzt sie ihre weibliche Attraktivität gezielt ein, um einen gut dotierten Job zu bekommen, für den sie sich eigentlich nicht genug qualifiziert hält. In insgesamt 193 sehr kurzen, in einem lyrisch verkürzenden Duktus gehaltenen Kapiteln wird die alte und neue Geschichte von Batseba erzählt mit unzähligen querverweisenden Zitaten, die am Ende des Buches erklärt werden. Zufällig begegnet der neuen (namenlosen) Batseba in Barcelona der auch so benannte König David, den sie mit allerlei Selbstinszenierungen nicht nur der körperlichen Attraktivität zu gewinnen sucht. Die Ränkespiele setzen sich fort, die biblische Geschichte gerät mehr und mehr in den Vordergrund, wird von Hrastelj jedoch immer wieder umgedeutet, indem Batseba die Intrigantin ist, die die Fäden spinnt, an denen die Männer so funktionieren, wie sie es für richtig hält. Damit erhält sie jedoch auch die Verantwortung für den Lauf der Dinge, anders als in der Bibel, die konstatiert: „In den Augen des Herrn aber war böse, was David getan hatte.“ (2 Samuel 11) Nach und nach entstehen Brüche, nach dem Tod des ersten Ehemannes folgt die Geburt des Sohnes und späteren Thronfolgers Davids. Der früher gegen Goliath so mutige, wie anmutig Harfe spielende David beginnt wieder fremd zu gehen und findet eine neue Frau. Salomo, der Sohn Batsebas, die allein weiß wer sein Vater ist, wird der noch heute in aller Munde geführte weise biblische König. Somit bleibt die Macht über die Reproduktion über die Generationen in der Hand der Frau, laut Hrasteljs Erzählung zum Wohle des Staates dank der Ruhe, die bereits der biologische Vater in sich trug und an dessen Tod Batseba nicht ganz unschuldig ist. Doch was ist mit der Mutter des neuen Königs, sie überlebt als eine mit Tesla, dem Spezialisten für energetische Prozesse korrespondierende Salzsäule.
Eine in jeder Hinsicht herausfordernde Lektüre, die mir als nicht lyrik-affine Leserin erst im zweiten Anlauf wirklich gelang, mit etwas mehr Zeit zum Eintauchen in das komplexe intertextuelle Geflecht, nichts für schwache und gestresste Nerven.
Zum Abschluss noch die Worte Leonard Cohens zu Batseba als starker Frau:
Dein Glaube war stark, doch du brauchtest Beweise
Du sahst sie baden auf dem Dach
Ihre Schönheit und das Mondlicht überfluteten dich
Sie band dich an einen Küchenstuhl
Sie zerbrach deinen Thron, sie schnitt dir das Haar ab
Und entlockte deinen Lippen das Halleluja
Slanka Hrastelj: Batseba; homunculus 2022, 134 S., 23 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Hra 1/1
Die Revoution hat ein weibliches Gesicht
Shparaga ist eine 47 Jahre alte Philosophin aus Minsk, die derzeit im Berliner Exil lebt. Ihr Buch ist ein Mix aus biographischen Notizen, historischen Verläufen und theoretischer Reflexion bzw. Konzeption. Das Cover des schmal anmutenden Suhrkamp-Bandes zeigt neben der vertrauten Schrift und vertikalen, diesmal jedoch roten Linien, die Zeichen oder Gesten der drei Frauen, die das vereinigte Team gegen Lukaschenko bildeten.
Ein Buch angesiedelt zwischen historischen Ereignissen, persönlichen Erfahrungen und theoretischen Reflexionen, das Mut macht. Revolution, wie geht das? Möglichkeiten und Praxen werden von Shparaga klar analysiert, ebenso wie auch das Scheitern in einem extrem repressiven politischen System.
Zur Erinnerung: drei sehr verschiedene Frauen bildeten das vereinigte Team: eine Hausfrau, eine Musikerin und eine Künstlerin, die sich weder als Feministinnen noch Politikerinnen verstanden, was ihnen immer wieder Kritik einbrachte von Menschen bzw. Frauen, die sich nicht vertreten fühlten. Nach dem Wahlbetrug Lukaschenkos repräsentierten die drei die belarussische Revolution, weil die Männer alle interniert wurden, aber auch keine anderen Männer sich zur Verfügung stellten. Als Vorbild für andere Frauen besetzten ca. 250 weiß gekleidete Frauen am 12. August 2019 trotz einer allgemeinen Eskalation der staatlichen Gewalt, mit Blumen in der Hand einen Markt in Minsk. Ihrem Beispiel folgten weitere Aktionen von Frauen.
Dass Revolution nicht nur aus Parolen besteht und nicht nur mit heroischen Emotionen verbunden ist, beschreibt Shparaga ausführlich und differenziert. Es gibt nicht nur ein Handzeichen, das allgemein alle Personen und Interessen subsumiert, sondern drei verschiedene.
Shparaga bezieht schon zu Beginn ihres Buches eine klare Position gegen den Krieg, indem sie auf die große Dokumentarprosa von Swetlana Alexijewitsch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ hinweist, in dem Frauen in langen Interviews von ihrem schweren Leben und humanitären Engagement berichten, welche selten in Kriegsberichterstattung vorkommen. Die belarussischen Frauen sind (zumindest eine gewisse Zeit) herausgetreten aus ihrer Unsichtbarkeit und sollten nicht wieder in Vergessenheit geraten.
Olga Shparaga: Die Revolution hat ein weibliches Gesicht, Suhrkamp 2021; 231 S., 13 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Kdb 46
Gabriele Grimm
Alle rezensierten Bücher im Überlbick:
Megan Nolan: Verzweiflungstaten, Blumenbar 2021, 299 S., 20 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Nol 2/1
Laurie Penny: Sexuelle Revolution, edition nautilus 2022; 381 S., 24 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Baa 30
Slanka Hrastelj: Batseba, homunculus 2022, 134 S., 23 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Hra 1/1
Olga Shparaga: Die Revolution hat ein weibliches Gesicht, Suhrkamp 2021, 231 S., 13 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Kdb 46