In diesem dystopischen Roman schildert Fernanda Trías das Leben einer Frau, die in einer Spirale der Care-Arbeit steckt.
Die namenlose Ich-Erzählerin lebt nach einer ökologischen Katastrophe in einer Hafenstadt in Südamerika, deren Infrastruktur zusammengebrochen ist. Das Land wird von einem ätzenden Wind (genannt „Prinz“) belagert, Algen durchwachsen das verseuchte Wasser, Tiere sind mutiert. Lebensmittel sind nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen – oder aus einer Lebensmittelfabrik in Form einer Fleischmasse, dem titelgebenden „Rosa Schleim“:
„Carnemás war das Vorzeigeprodukt der neuen Lebensmittelfabrik, doch im Landesinneren mieden sie es, wo immer es ging. Das Nahrungsmittel unserer Träume: pro Portion zwanzig Gramm Proteine in einem winzigen Plastikbecherchen. Die neue Fabrik öffnete sich wie ein riesiger Schlund, um diesen rosa Schleim auszuspucken. Die Becher glitten über das Fließband wie über eine Zunge und fielen uns, wunderschön und hübsch designt, in den Schoß. Wir alle hassten die neue Fabrik, aber wir hingen von ihr ab, und daher schuldeten wir ihr Dank. Eine gute, für uns sorgende Mutter.“ (S. 117)
Die Reichen sind ins Landesinnere geflüchtet, auch wenn sich die Folgen der Katastrophe immer weiter ausweitet. Die Stadt wird immer leerer – doch die Ich-Erzählerin bleibt, gehalten von ihrer Rolle der Fürsorgerin. Sie kümmert sich um ihre Mutter, ihren kranken Ex-Mann in den Clinicas und – gegen Bezahlung – um einen kleinen Jungen mit einer seltenen Behinderung. Neben den verschiedenen Ebenen des Kümmerns bleibt nicht viel Zeit für sie selbst, ihr Alltag ist von Einsamkeit und Erschöpfung geprägt. Letztere scheint die*den Leser*in aus den Seiten heraus geradezu anzuschreien. Ihre Aufopferung für das Kind scheint auf Kosten des eigenen Selbst der Ich-Erzählerin zu gehen, dreht sich doch alles um dessen Bedürfnisse.
„Sie hatten nicht nur meine Zeit gekauft, sondern auch meine Energie: Sie hatten meine Muskeln gekauft, meine schmerzenden Oberschenkelmuskeln, meine Arme, die davon zitterten, dass ich Mauro wieder und wieder wie einen Helikopter hochhob, um ihn hin- und herzuschaukeln.“ (S. 89)
Fernanda Trías ist in Montevideo, Uruguay geboren und lebt heute in Frankreich. „Rosa Schleim“ ist ihr dritter Roman. Geschrieben hat sie ihn 2019, 2020 wurde er veröffentlicht und zeigt erschreckende Parallelen zur Corona-Pandemie. In einzelnen Szenen wirkt es, als hätte sie Covid 19 und die gesellschaftlichen Auswirkungen vorausgesagt: Von der Isolation der Protagonistin über Lebensmittelknappheit bis hin zu den überfüllten Krankenhäusern. Dies nimmt dem Roman vielleicht etwas vom originellen Charakter, ermöglicht den Leser*innen jedoch – gepaart mit der poetischen und mitfühlenden Sprache – eine besonders starke Identifikation.
Fernanda Trías: Rosa Schleim, claassen 2023, 282 Seiten, 23 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Trí 2/1
Inga