Lesetipp: Amanda Lee Koe, „Die letzten Strahlen eines Sterns“

Koe wurde 1988 in Singapur geboren und lebt nun in New York, „Die letzten Strahlen eines Sterns“ ist ihr erfolgreiches Romandebüt.

Einen authentischen Rahmen für komplexe Handlungsstränge über einen Zeitraum von insgesamt 74 Jahren bilden zwei Bilder des Fotografen Eisenstädt vom Presseball 1928 in Berlin, die Koe zufällig in einem Antiquariat fand. Auf dem, dem Text vorangestellten Foto sind drei Frauen mit professioneller Schauspielpräsenz zu sehen, am Ende der gleiche Ort, dieselben Frauen. Hier muten sie eher privat an, nahezu fröhlich bis derangiert beziehen sie sich aufeinander. Das gilt auch für die historischen Romanfiguren, die vertrauten Ikonen erhalten eine lebendige und sehr eigene Geschichte. Der so entstandene Schlüsselroman ist nicht wie die yellow press sensationsheischend, sondern leise und durchaus intim, ergänzt von Koe mit fiktivem Personal.

Ein Zitat Roland Barthes am Ende des Buches vermittelt die differenzierte Bedeutung des englischen Originaltitels; die verspäteten Strahlen der weiblichen Filmstars erreichen und berühren auch die Leser:innen im Betrachten der Fotos und diese Strahlen werden belebt in einem wunderbaren Text.

„Von einem realen Objekt, das einmal da war, sind Strahlen ausgegangen, die mich erreichen, der ich hier bin; die Dauer der Übertragung zählt wenig; die Photographie des verschwundenen Wesens berührt mich, wie das Licht eines Sterns.“ (S. 471)

Die Kapitel sind aufgeteilt je nach Hauptperson und gekennzeichnet durch die drei graphischen Zeichen Kreis, Rechteck und Quadrat. Doch wer sind die drei Damen, die sich immer wieder begegnen persönlich, Rivalinnen und/oder Geliebte?

Die Kapitel mit Kreis und lateinischen Zahlen stellen Marlene Dietrich in den Mittelpunkt, die sich, finanziert von der französischen Kulturbehörde, 1989 mit 88 Jahren in ihre abgedunkelten Pariser Wohnung zurückgezogen hat von der Welt und von den Kameras. Sie möchte das Bild der zeitlosen attraktiven Diva nicht destruiert wissen, für die Ewigkeit die Verführerin bleiben, nicht wie Greta Garbo gewaltsam als alte Frau sichtbar werden. Diese Einsamkeit betritt ein chinesisches Hausmädchen, geflüchtet vor der ländlichen Armut in China und zur Prostitution gezwungen, nun offiziell anerkannt als Opfer der studentischen Unruhen und deren blutiger Niederschlagung auf dem Tiananmen Platz. Bebe bringt Licht und Essen in Marlenes Dasein, dabei kennt sie weder die glorreiche Vergangenheit ihrer Arbeitgeberin, noch versteht sie rein sprachlich deren harschen und herrischen Umgangston. Dann gibt es da noch wundervolle Telefonate mit einem hoch begabten deutsch-türkischen 20jährigen Mann über Gedichte von Rilke, die beide auswendig kennen. Für ihn kocht Marlene dann ihre berühmt berüchtigte, da erotisch aufgeladene Rindssuppe, überbracht von dem chinesischen Mädchen, mehr soll nicht verraten werden.

Ein Quadrat und chinesische Schriftzeichen machen die Kapitel für Anna May Wong kenntlich, die erste sino-amerikanische Schauspielerin Hollywoods und Kind einer armen chinesischen Familie mit Wäscherei in Los Angeles. Bei großem schauspielerischen Talent war Wong entweder zu wenig oder zu viel chinesisch. Sie erhielt meist kleinere Nebenrollen, so auch im „Shanghai Express“ (1932), gedreht von Joseph von Sternberg mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle, deren letzter gemeinsamer Erfolgsfilm er war. Während es in der sogenannten Pre-Code-Ära möglich war, relativ freizügige Filme zu drehen, verhinderten die Richtlinien des Hays Code oder Production Code ab 1934 bis 1967 dies. In US-amerikanischen Spielfilmen durften nur noch moralisch akzeptable Darstellungen erfolgen, besonders Kriminalität und Sexualität, wie generell politische Inhalte wurden reguliert und überwacht. Verheerend war der Einfluss der Selbstzensur der Filmindustrie auf die Karriere von Wong, denn der rassistische Code verbot, dass Angehörige verschiedener Hautfarben auf der Leinwand miteinander eine sexuelle Beziehung hatten, damit blieben ihr große Rollen verwehrt.

„In den letzten Strahlen eines Sterns“ steht Wong gleichberechtigt neben den anderen Diven, denen sie bereits 1928 im freiheitlichen und avantgardistischen Berlin begegnet. In Deutschland war Anna May Wong eine Exotin, und daher anziehend, auch für Marlene, die, in den Lesbenbars von Berlin zuhause, ihre Kollegin verführt. In den USA begegnen sie sich wieder am Set zum „Shanghai Express“ und werden hier eher zu Rivalinnen, denn der Regisseur Sternberg schätzt im Roman eher Wongs schauspielerisches Potential als das der Dietrich. Ein letztes Mal begegnen sich die beiden 1960 in Las Vegas, Wong schon gezeichnet von einer Alkoholsucht. Marlene als der absolute Star einer Revue, die musikalisch ihre Aktivitäten als Unterhalterin der GI im 2. Weltkrieg aufnimmt, diesmal glamouröser und dies trotz eines gebrochenen Fußes, ganz preußisch diszipliniert. Rudi, der Ehemann Marlenes, fragt im Roman, ob Anna May „eine besondere Freundin“ sei, nein antwortet Marlene, nur eine die mich verlassen hat.

Die Kapitel mit einem Rechteck und römischen Zahlen stehen für Leni Riefenstahl, die unter der Nazi-Herrschaft von einer Revuetänzerin zur berühmt-berüchtigten Propaganda-Regisseurin wurde, so in der Glorifizierung der olympischen Spiele 1936. 1928 ist sie noch eine unbekannte Schauspielerin und Nachbarin von Joseph von Sternberg, ein deutsch-amerikanischer Regisseur, der seinen bekanntesten Film „Der blaue Engel“ 1929-30 in Berlin drehte und mit Marlene Dietrich zusammenlebte. Im Roman verneint sie die Frage, ob sie den blauen Engel, die für Männer gefährliche und verruchte Varietésängerin Lola, hätte spielen wollen. Während des zweiten Weltkrieges ab 1940 drehte Riefenstahl den Film „Tiefland“ in Berliner Studios und in den Bergen bei Mittenwald. Einerseits versuchte Riefenstahl durch Krankheit die Dreharbeiten zu verzögern bis zum Ende des Kriegs, gleichzeitig benutzte sie internierte Sinti und Roma als „südländisch“ aussehende Statisten, ohne diese nach Beendigung der Filmarbeiten vor der Ermordung in Ausschwitz zu retten. In einem so tatsächlich stattgefundenen Interview im Jahre 2002, das im Roman in der Ich-Perspektive von Riefenstahl aufgegriffen wird, verweigert sie sich dieser Realität, ohne dafür juristisch belangt werden zu können.

Koe gelingt es auch die Geschlechterverhältnisse und ihre traditionellen Bilder kritisch zu hinterfragen, denn die Damen sind keinesfalls dem männlichen Personal unterlegen. So wird im Roman deutlich, dass nicht unbedingt Joseph von Sternberg als berühmter Regisseur Marlene Dietrich zu Weltruhm verholfen hat; seine Karriere endete mit dem letzten vertraglich festgelegten Marlene-Film. Die Dietrich wird bei Koe in den Szenen während des zweiten Weltkriegs eine Soldatin, die sich den schwierigen bis lebensbedrohlichen Bedingungen ohne Probleme anpassen kann. Als ihre Karriere sie als Sängerin wieder nach Europa bringt, diesmal glamourös und sehr erfolgreich, wird ihre emotionale Ambivalenz zwischen zwei Heimatländern deutlich und die Kritik, der sie immer wieder ausgesetzt war. In einem Interview gibt sie folgenden klugen Satz dazu von sich:

„Marlene fühlen Sie sich eher als Deutsche oder als Amerikanerin? Im besten Fall, sagte Marlene, sollte es schwierig sein, kategorische Grenzen zu ziehen, was Nationalität wie auch Geschlecht angeht.“ (S. 428)

Leni Reifenstahl wollte nicht das Geschöpf eines Regisseurs werden, vielmehr bezeichnet sie den frühen amerikanischen Film „Die Docks von New York“ von Sternberg mit seinen filmischen Effekten, als Auslöser für ihren Wunsch, selber Regisseurin zu werden. Im Roman treffen Riefenstahl und Sternberg sich 1959 auf einem Filmfestival in Venedig, beide zu anderen Zeiten dort gefeiert, in der Nachkriegszeit künstlerisch nicht mehr relevant oder hoch umstritten. Riefenstahl hatte ebenso erfolgreich wie angepasst die NS-Regierung genutzt, um ihre Projekte finanziert zu bekommen. Sie galt als Geliebte von Hitler, was sie jedoch vehement in einem späten Interview im Alter von 101 Jahren bestreitet mit dem gruseligen Hinweis auf eine Art Seelenverwandtschaft zwischen ihr und dem Diktator. Die Propaganda-Politik Goebbels übernahm sie widerspruchslos und erhielt dafür eine Finanzierung immer neuer Projekte. Das galt auch für die Dreharbeiten zu „Tiefland“, die im Roman von ihr herausgezögert werden mit der typisch weiblichen Begründung einer Blasenentzündung. Die Hochachtung als Leserin vor dieser so vitalen und durchsetzungsfähigen Frau, die 102 Jahre alt wurde, gerät immer wieder ins Wanken angesichts ihrer tödlichen Egozentrik.

Ebenso authentisch wie erhellend ist ein Interview Anna May Wongs mit dem Essayisten Walter Benjamin für eine Berliner Literatur Zeitschrift 1928. Den übersetzten Text schickte Benjamin Wong in die USA. Sie wirft ihm zu Recht Orientalismus vor. In den USA galt diese romantisierende Darstellung ihrer Person nicht, vielmehr zerstörte die rassistische Geisteshaltung und Gesetzgebung in den USA ihr Leben. Auch Benjamin fand einen tragischen Tod 1943 aufgrund der ebenso unmenschlichen Nazi-Herrschaft, bis dahin blieben die beiden in Briefkontakt miteinander.

Ein absolut spannendes und mitreißendes Buch, das Zeitgeschichte ausgesprochen klug wie emotional vermittelt, unbedingt lesen und bei DENKtRÄUME ausleihen! Als Ergänzung für Fans gibt es auch das dicke und spannende Buch von Karin Wieland: Dietrich & Riefenstahl, Der Traum von der neuen Frau in unserem Bestand! (Signatur: Wb anth 9)

Amanda Lee Koe: Die letzten Strahlen eines Sterns, CulturBooks 2022, 472 Seiten, 28 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Koe 4/1

Ele

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