Brüste und Eier
Mieko Kawakami wurde am 29. August 1976 in Osaka geboren und ist als Sängerin und Schriftstellerin in Japan sehr erfolgreich.
Wie bereits der Titel verkündet, geht es im Roman „Brüste und Eier“ um handfeste Körperlichkeit, ohne jemals anzüglich zu sein. Wie lässt sich die Spannung halten in diesem umfangreichen Roman, in dem es nie um Erotik geht? Das Cover wirkt auf den ersten Blick romantisch mit rosafarbenen Kirschblüten, doch es gibt versteckte Hinweise auf das Thema Reproduktion, und zwar mit einer Spritze und mit Gottes Hand. Diese streckt sich wie auf dem berühmten Bild in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo aus dem Himmel. Allerdings ohne auf Adam zu treffen, sondern einem Schmetterling als Basis dienend. Das Thema Brust steht im Kontext von Schönheitsnormen und optimierenden Operationen. Die Eier sind u.a. Hühnereier, mit denen Mutter und Tochter sich bewerfen in einer umwerfenden Szene.
Die aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Natsuko geschriebenen vielen Zeilen kommen wie ein Tagebuch daher. Der Ton bleibt lakonisch suchend sowie passiv forschend entsprechend der Lebenshaltung der Ich-Erzählerin, die sensible wie differenzierte Blicke auf das eigene Innenleben wirft und auf die wenigen Personen, mit denen sie in Kontakt steht. Der Roman beginnt mit dem Besuch der älteren Schwester Makiko und deren 12-jähriger Tochter Midoriko bei der 30-jährigen Natsuko in Tokyo. Dabei wird deutlich, dass die Familiengeschichte der drei belastet ist vom Tod der Frauen und Gewalt durch Männer in der eigenen Familie. Anschließend beginnt Natsuko sich Gedanken zu machen, ob sie wirklich ein Kind kriegen möchte und wie ihr das gelingen könnte, ohne Sex und ohne eine Partnerschaft, aber mit einem Vater. Inzwischen kann sie mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihr erster Roman war zumindest bei den Rezensenten ein Erfolg als Buch über Tote, die immer weiterleben, mit dem zweiten tut sie sich voller Zweifel schwer. Am Ende des Romans ist sie dann 40 Jahre alt und begegnet zum ersten Mal ihrer Tochter:
„Da bist Du ja. Wo warst Du denn?“ (S. 495, kursiv im Original) Die Handlung des Romans ist angesiedelt in einem Frauenkosmos, lediglich der vaterlose Aizawa spielt eine Rolle und nimmt Raum ein. Natsuko wächst nach der Flucht ihrer Mutter vor dem gewalttätigen Vater zusammen mit Schwester und Mutter bei der liebevollen Großmutter auf, in ärmlichsten Verhältnissen im Hafenviertel von Osaka. Wie die Mutter verdient auch ihre Schwester Makiko ihr Geld als Hostess in einer Bar und ist damit abhängig von einer durch Männer bestimmten weiblichen Attraktivität, weshalb sie viel über eine unbezahlbare Schönheits-OP nachdenkt. Eine Dynamik, der sich die schweigende dafür stets schreibende Tochter Midoriko verweigert, während sie mit der Pubertät und ihrer Mutter hadert. Auch wenn diese Themen im zweiten Teil nicht mehr explizit aufgegriffen werden, bleibt Kawakami mit dem Leben von Frauen in der japanischen Gesellschaft beschäftigt. Die entworfenen Frauenbilder changieren zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit von gesellschaftlichen wie patriarchalen Erwartungen. Das Thema Herkunft spielt dabei eine wichtige Rolle, um Vergangenheit und Zukunft verbinden zu können. Am Ende des Romans kehrt Natsuko nach vielen Jahren, in denen sie vermieden hat, sich belastenden Erinnerungen zu stellen, wieder in ihre Heimatstadt Osaka zurück, um hier einen wichtigen Schritt in die Zukunft zu machen. Diese Zukunft steht wieder außerhalb der gesellschaftlichen Normen und bleibt sehr eigen, was auch für die Lebensentwürfe der anderen Romanfiguren gilt.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier, DuMont 2020, 496 S., 24 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Kaw 1/1
Frau Shibatas geniale Idee
Emi Yagi wurde 1988 geboren, „Frau Shibatas geniale Idee“ ist ihr erster Roman, der in Japan bereits gefeiert und ausgezeichnet wurde.
Fr. Shibata will nicht mehr unhinterfragt Kaffee kochen und die schmutzigen Tassen wegräumen. Mit einer spontan erfundenen Schwangerschaft mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Müdigkeit, verschafft sich die Ich-Erzählerin ungeahnte Privilegien wie geregelte Arbeitszeiten und Respekt. Am Ende der sehr unterhaltsamen 200 Seiten hat sie einem jungen Ingenieurs-Kollegen mit einer präzisen schriftlichen Anleitung nachhaltig beigebracht, Instantkaffee zu kochen.
Im Anschluss an ihre Nachricht beginnt Fr. Shibata das Leben einer Schwangeren. Sie erfüllt dabei alle Klischees, angefangen bei lustvollen leiblichen Genüssen bis zum Schwangeren-Aerobic. Ihrer Umwelt kann sie authentisch und detailliert über ihre Zustände während der in Japan gezählten 40 Schwangerschaftswochen berichten, gerade weil diese eine öffentliche Angelegenheit sind und stark reguliert werden in einer an Optimierung orientierten Gesellschaft. Yagi gelingt es mit ihrer Heldin auf ironische statt rebellische Art, eine neue Frauenwelt zu entwerfen, indem sie das Patriarchat mit seinen eigenen Waffen schlägt, sich den Normen entziehend in der nur vermeintlichen Erfüllung von gesellschaftlichen Reproduktions-Erwartungen.
„Zuerst sah er einfach nur ziegelsteinrot aus, ohne auffällige Farben oder die typischen Formen, die man bei Kelims erwartete. Er war ausnehmend schlicht. Als ich mich aber vorbeugte und ganz genau hinsah, erkannte ich doch ein feines, an Schlingpflanzen erinnerndes Muster. An den Ranken tanzten Knospen in so vielen Farbabstufungen, als hätte jemand das Rot aller Blumen der Welt gesammelt, um damit auf diesem Teppich einen geheimen Garten zu weben.“
Diese Beschreibung eines Teppichs gibt sehr schön die Haltung und Zielsetzung der Autorin wieder, die sich wohlgemerkt nicht als Feministin versteht. Der japanische Original-Titel würde übersetzt „Kernlos-Notizen“ heißen, aber gibt es tatsächlich keinen Kern, sprich kein Baby oder findet Fr. Yagi nicht gerade ihre Lebensaufgabe? Das Buch bietet eine kurzweilige Lektüre für alle, die sich für japanische Kultur der Mutterschaft und der Arbeitswelt interessieren. Die Gratwanderung der Lügen zwischen realen und imaginierten Anteilen bleibt bis zum Schluss bestehen, lasst Euch überraschen.
Emi Yagi: Frau Shibatas geniale Idee, Atlantik 2021, 208 S., 21 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Yag 2/1
Butter
Yuzuki wurde 1981 in Tokio geboren, sie ist eine in Japan bekannte Schriftstellerin, ihr Roman ist inspiriert von einem realen Fall aus dem Jahr 2009.
Butter steht im Zentrum dieses teilweise die Westeuropäerin verstörenden Romans. In allen Aggregatzuständen von flüssig bis fest und von warm bis kalt, wird ihr Genuss detailliert geschmeckt und beschrieben. Drei Frauenfiguren stehen neben der Butter im Zentrum des Geschehens, die beruflich stark überlastete Journalistin Rika möchte endlich eigene Texte schreiben und diese nicht nur lektorieren. Ihre langjährige Freundin Reiko hat gerade ihren Job gekündigt, um mit ihrem Ehemann an den Stadtrand zu ziehen als Hausfrau und geplante Mutter. Kanjii hingegen ist eine vermeintliche Massenmörderin, mit der sich beide Frauen unabhängig voneinander und durchaus in beruflicher Konkurrenz miteinander, im Gefängnis anfreunden. Als professionelle Care-Takerin lässt sich Kanjii von einsamen älteren Männern aushalten, die sie dafür bekocht und ihnen zuhört. Drei dieser Männer sind unter verdächtigen Umständen gestorben, Suizid oder Unfall könnten jedoch auch mögliche Todesursachen sein. Die in der japanischen Tradition noch weitaus stärker verankerte typisch weibliche und passive Haltung, anderen gefallen zu wollen, wird im sozialen Kontext des Romans ausgiebig beleuchtet. Doch es entstehen mit Fortschreiten der Handlung neue Facetten, die sich mehr an Kanjiis Lebensentwurf orientieren. Da geht es auch um das aktive Funktionalisieren oder Manipulieren von Anderen, ein Begehren der anderen Art erscheint möglich. Der weibliche Körper spielt dabei eine zentrale Rolle, so gilt Kanjii als nicht besonders attraktiv, da mehrgewichtig nach japanischen Normen, dennoch hat sie großen Erfolg bei Männern. Rika hingegen war schon in der Schule der knabenhafte Prinz, begehrt von ihren Mitschülerinnen auf einer Mädchenschule. Doch Rika, die bislang nur Fertiggerichte zu sich nahm aufgrund von Zeitmangel, beginnt zu kochen und nimmt zu. Das bemerkt auch ihr Partner Makoto, mit dem sie eine eher lockere Beziehung verbindet. Die von ihm attestierte Disziplinlosigkeit, wird von Yuzuki entlarvt als männliches Begehren, das sich an ein Mädchen wendet und nicht an eine erwachsene Frau. Außerdem interpretiert er fälschlicherweise die neue Leidenschaft von Rika als überfällige Übernahme der traditionellen Frauenrolle als Hausfrau ohne Lohn-arbeit außerhalb des Hauses. Die seit Schulzeiten beste Freundin von Rika namens Reiko ist auf diese Weise in einem Vorort gestrandet und versucht vergeblich schwanger zu werden, oder will sie eventuell gar nicht? Der Fall Kanjii reißt sie heraus aus der langweiligen Idylle und führt sie an die Grenzen ihrer psychischen Stabilität. Aber die Grenzen der sozialen Fremd- und der persönlichen Selbstbestimmung zeigen sich überall, auch die Gegenentwürfe sind wie die traditionell verhafteten Rollenentwürfe zum Scheitern verurteilt. Lediglich Butter steht für authentischen Genuss, eine Lebensart ohne die als gesund beworbene Margarine, um den Mangel in den Ladenregalen und den Küchen sowie im Leben von Frauen zu verdecken. Kochen ist eine soziale Kunst, ohne Auftrag eines Mannes schafft sie Selbstbewusstsein und Kompromisslosigkeit auch im Berufsleben. Kurzweilig, unterhaltsam und klug macht der Roman Appetit auf mehr.
Asako Yuzuki: Butter, Blumenbar 2022, 442 S., 23 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Yuz 1/1
Gabriele Grimm
Alle rezensierten Bücher im Überlbick:
Mieko Kawakami: Brüste und Eier, DuMont 2020, 496 S., 24 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Kaw 1/1
Emi Yagi: Frau Shibatas geniale Idee, Atlantik 2021, 208 S., 21 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Yag 2/1
Asako Yuzuki: Butter, Blumenbar 2022, 442 S., 23 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Yuz 1/1