Der Kapitalismus zerstört Leben, und er zerstört das Leben selbst.
Eva von Redecker, Revolution für das Leben, S. 127
Unter dem leicht pathetischen Titel „Revolution für das Leben“ (gibt es auch eine für den Tod?) dekliniert die Philosophin und Publizistin Eva von Redecker strikt symmetrisch vier Bereiche des Kapitalismus in ihren negativen und positiven Erscheinungsformen durch. Kipppunkt und Mitte zwischen polarisiert angerichteten Praxisfeldern bildet schlicht die „Revolution“, visuell abgesetzt durch ein Deck- und ein Rückblatt mit einem Design, das an das Puzzle-Spiel Tangram erinnert.
Darin eingebettet findet sich eine Abhandlung über etymologische und historische Aspekte des Begriffs Revolution, der sich eine Diskussion der „menschlichen Schaffenskraft“ (S. 145) anschließt, mit ihren negativen, d.h. zerstörerischen Ausprägungen und ihren produktiven. Richtig eingesetzt kann diese nach Redecker nicht wie die historischen Revolutionen mit einem Mal alles verändern oder verändern wollen, sondern wie die schwarze Feministin Francis Beal aus dem Jahr 1968 zitiert wird: „… für die Revolution zu leben bedeutet, die schwierigere Aufgabe zu übernahmen, unsere alltäglichen Lebensmuster zu ändern.“ (S. 147)
Aktuelle soziale Bewegungen vom arabischen Frühling bis zu den Gelbwesten inklusive feministischer Anliegen subsumiert Redecker zu einer anti-hierarchischen Rebellion, deren gemeinsames Merkmal darin besteht nicht ausgestattet zu sein mit einem theoretischen Überbau oder festen Zielsetzung. Sie entwirft somit eine Utopie der „Weltverwobenheit“ (S. 156), die sich dem Sog der Verwertbarkeit entzieht.
Die vier Felder Eigentum, Waren bzw. Güter, Arbeit und Leben sind prärevolutionär gekennzeichnet von Praktiken der Herrschaft über Besitz, Verwertung von wertvollen Ressourcen, Erschöpfung als Kennzeichnung einer ausbeutenden Arbeitswelt und Zerstörung von Natur durch Produktion und GIer. Nach dem Kapitel Revolution verbindet Redecker dieselben Felder in umgekehrter Reihenfolge mit anderen Handlungsweisen. Das Leben in all seinen Facetten wird dann gerettet, die Arbeit hilft solidarisch zu re-generieren bis hin zu einem unerschöpflichen Gebären, Güter werden geteilt und Eigentum wird zwar nicht abgeschafft, aber gepflegt in allumfassender Gegenwärtigkeit.
Dieser zeitlosen wie allgemeingültigen Ethik ordnet in vertrauter Tradition Redecker auch das aktuelle Virus unter, das ihr als Beleg für die zerstörerische Wirkung der kapitalistischen Zivilisation gilt, deren Mechanismen die eigentliche gute Natur dahin gehend verändern und missbrauchen, dass diese sich dann gegen Menschen richtet.
Die strikte Binarität von guter Welt und böser erinnert stark an die radikalfeministische Theologin Mary Daly, die in ihrem Buch Gyn/Ecology 1978 der patriarchalen Nekrophilie und ihrer konkreten Verstümmelung von Frauen, das feministische Konzept der Biophilie gegenüberstellte. Es lohnt sich vielleicht wieder einen Blick auch in dieses Buch zu werfen.
Eva von Redecker: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen, S. Fischer 2020, 316 S., 23 Euro
In unserer Bibliothek entleihbar unter der Signatur: Aaf 66
Gabriele Grimm