In einer gut verständlichen Sprache schreibt Garza, eine der drei Begründerinnen der Black-Lives-Matter-Bewegung, differenzierte und klare Analysen über die politischen Verhältnisse in den USA. Sie benennt rassistische und klassistische Lebensbedingungen von Gentrifizierung über Polizeigewalt bis zu einer durchgängig ignoranten politischen Führung. Doch sie hat eine Vision, die sie auf den knapp 400 Seiten ihres Buches sowohl theoretisch als auch emotional vermittelt. Eng verknüpft mit ihrer Biographie einer, wie sie sich selber bezeichnet, queeren Schwarzen Frau, denkt sie immer eine feministische Perspektive mit, d.h. die patriarchal strukturierten Bedingungen für Schwarze Frauen, die damit mehrfach der kulturellen Hegemonie (Gramsci) unterliegen. Das Ziel jeder politischen Bewegung sollte es nach Garza sein, diese Bedingungen zu verbessern. Dazu braucht es neben dem engen persönlichen Kontakt zu den Betroffenen im Sinne eines basisdemokratischen Vorgehens, auch grundlegende Theorien und eine möglichst breite Vernetzung in verschiedenen produktiven Widerstandsformen.
Garza beginnt mit der Reagan-Ära, in die sie hinein geboren wurde als Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Reagan gelang eine konservative gesellschaftliche Spaltung mit dem Argument, dass Sozialmaßnahmen für Frauen und People of Colour verantwortlich seien für die Verarmung der weißen Mittelschicht. Die Autorin beginnt früh, sich politisch zu engagieren. Als Jugendliche mit dem Thema Geburtenkontrolle bei Mädchen und als Studentin im Kampf gegen die Gentrifizierung eines Stadtteils von San Francisco sammelt sie die Erfahrungen, die heute noch ihr politisches Denken und Handeln bestimmen. Eine Bewegung ist für sie nicht durch ihr Führungspersonal bestimmt, sondern besteht aus kleinen regional und ideologisch nahen Einheiten bis hin zu dezentralen Gruppen und größeren Vernetzungen einer Volksfront. Diese Organisationseinheiten brauchen eine enge Verknüpfung mit einer Basis, um umsetzbare Lösungen in Alltagsstrukturen finden zu können. Sie müssen sich daher laut Garza messen lassen an den Maßstäben divers, repräsentativ und intersektionell, immer mit einem sensiblen Auge auf Machtdynamiken innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen.
Demokratische Wahlen als ein Handlungsfeld zu betrachten ist für Garza ebenso unerlässlich wie politische Bildung, sei es im Sinne der Volksbildung von Freire, als Peer-Education oder die praktische Überprüfung von Theorien zu Machtmechanismen und -erhalt.
Ziel ihrer Arbeit für eine gleichberechtigtere Gesellschaft besteht darin, einen dringend notwendigen Kulturwandel sichtbar zu machen, diesen voranzutreiben und den allgemeinen Konsens tradierter Machtverhältnisse zu erschüttern. Garza unterscheidet dabei konservative und fortschrittliche Ansätze der Identitätspolitik, die die Macht der Anderen sichtbar machen wollen, die einen sich aber daran orientieren, den Status Quo aufrecht zu erhalten, während eine innovative Identitätspolitik sich nach einem Wandel der Verhältnisse ausrichtet. Ausdrücklich weist Garza auf die Gefahr einer umgekehrten Polarisierung der Machtverhältnisse hin und stellt ihr praktische Vorstellungen einer sozialen Gemeinschaft ohne Unterdrückung entgegen.
In einem sehr persönlichen Epilog über das Sterben ihrer als beste Freundin bezeichneten Mutter, verdeutlicht Garza das für sie zentrale Moment der Fürsorge für sich und andere als Verbindung untereinander.
„Die Kraft des Handelns“ ist weniger ein flammendes Plädoyer für eine bessere Welt als ein ungemein persönliches wie praktisches Buch über Veränderung. Veränderung braucht Bewegung, eine Bewegung braucht Menschen, diese Menschen brauchen ein gutes Miteinander und ein gemeinsames Motiv; dem gegenüber stehen immer Verhältnisse und Interessen, die keine Veränderung wollen, wie das immer noch sehr gegenwärtige traditionelle Patriarchat.
Alicia Garza: Die Kraft des Handelns. Wie wir Bewegungen für das 21. Jahrhundert bilden, Tropen 2020, 396 S., 20 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Bac 4
Gabriele Grimm