Lesetipp: Natasha A. Kelly, „Rassismus“

Kann ich als weiße Frau überhaupt etwas zu diesem Buch sagen, zumal etwas Negatives?

Kelly ist der Ansicht, dass nur Schwarze Menschen die Erfahrung des Rassismus machen und beurteilen können. Ich kann ihr da als Ehefrau und Mutter von Afrodeutschen nur bedingt zustimmen. Übergriffe von Neonazis, stereotypische Ansprachen („Ihr Mann ist doch Drogendealer?“ – „Ist das Ihr Kind?“ – „Im Ferienlager ist noch ein Schwarzer, da können die bestimmt gut zusammenspielen.“), unangenehme und unbegründete Polizeikontrollen – das erlebt man auch als nahes Umfeld. Meines Erachtens beeinflusst der Rassismus darüber hinaus das Leben von uns allen in negativer Weise. Deshalb halte ich es zwar für wichtig, die Unterschiede und Diskriminierungen beim Namen zu nennen, aber daraus nicht eine grundsätzliche Unmöglichkeit der Empathie und einseitige Anklage abzuleiten. Das Ziel ist ja keine Umkehrung der Verhältnisse, sondern gleichberechtigte Koexistenz.

Kelly will das Problem strukturell angehen. So fordert sie eine Aufarbeitung des Kolonialismus. Da wird ihr keine widersprechen, aber wem ist damit geholfen, wenn wir von Bismarck über Kant und Hegel bis Virchow die damaligen politischen und geistigen Führer als Rassisten verurteilen und sie posthum aller Ehren berauben? Wäre es nicht sinnvoller, Weiterentwicklungen anzuzeigen bzw. einzufordern? Überdies fehlt an dieser wichtigen Stelle eine akribische Beweisführung ihrer Behauptungen. Kant hat die Kategorie Rasse überhaupt erst definiert und in ihrer abwertenden Rangordnung salonfähig gemacht? Solche Thesen brauchen mehr als ein „läppisches“ Zitat, um zu überzeugen.

Gut belegt hingegen führt sie vor, wie sich das koloniale Denken („Ein Schwarzer kann kein Deutscher sein“) bis heute durch Gesetzgebung und Politik zieht und damit den Nährboden für die aktuellen rechten Bewegungen und Parteien bereitet. Durchaus schlüssig zieht sie eine Linie bis hin zu den gewalttätigen Übergriffen in Chemnitz und anderswo.

Sie fordert eine eigenständige Geschichtsschreibung der Afrodeutschen, damit diese nicht nur unter den Stichworten Immigration und Eingliederung im kollektiven Bewusstsein ihren Platz finden, sondern als Subjekte mit je eigenen Biografien.

Der Kolonialismus als Geburtsstunde des modernen Europas bringt das Thema Rassismus , wie uns die Autorin erinnert, auch bei allen aktuellen Debatten auf die Tagesordnung. Immer sind es die damals kolonialisierten Völker, welche ungleich stärker unter den negativen Folgen z.B. von Globalisierung und Klimakrise zu leiden haben.

Gegen diese geschichtlich verwurzelte, strukturelle Ungleichbehandlung führt Kelly einen Maßnahmenkatalog an, der zum Teil schon in der Umsetzung ist:

  • Die Lehrbücher müssen kritisch durchgesehen werden, ebenso Kinderbücher.
  • Das N-Wort darf nicht mehr verwendet werden. Da Rassismus unter Lehrer*innen und Polizist*innen besonders verheerende Folgen hat, sei hier mit besonderen staatlichen Kontrollen und Fortbildungen einzugreifen. Die Beispiele, die sie anführt, sind so bekannt wie schockierend.

Der Autorin gelingt auf knapp 100 Seiten ein fundierter Abriss über die Verknüpfung von Kolonialismus, Rassismus und den Entwicklungen im modernen Europa. Ihre Thesen sind streitbar, das Ziel versöhnlich und erstrebenswert: „Das dritte Jahrtausend zu einem besseren Zeitalter zu machen – für alle!“

Natasha A. Kelly: Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!, Atrium Verlag, 2021, 80 S., 9 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Acd 86

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Alex Fadiga

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