Lesetipp: Audre Lorde und Sharon Dodua Otoo

Fast 40 Jahre liegen zwischen der Erstveröffentlichung von zwei Büchern, die inhaltlich viele Parallelen aufweisen – offensichtlich hat sich strukturell in dieser Zeit wenig verändert in Sachen rassistische und sexistische Gewalt gegen Women of Color.

Der Roman „Adas Raum“ von dem neuen Shooting-Star der deutschen Literatur Sharon Dodua Otoo (geb. 1972 in einem mittelständischen Ortsteil von London), die nach dem Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises 2016 mit ihrer ersten auf Deutsch verfassten Geschichte jetzt ihren ersten Roman vorlegt, erschienen im S. Fischer Verlag.

Der Roman hat eine weibliche Protagonistin namens Ada, die sich vielgestaltig in erzählerischen Schleifen durch die Jahrhunderte bewegt. Im Jahr 1459 verliert Ada ihr Baby als selber mutterlose Westafrikanerin und wird wenig später von einem zufällig vorbeikommenden portugiesischen Kolonisator erschossen. In London lebt die historisch als Mathematikerin und Computer-Pionierin bekannte Ada Lovelace, die sich über ihren Geliebten Charles Dickens lustig macht und von ihrem Mann ermordet wird. Die polnische Ada arbeitet 1944 als Zwangsprostituierte im KZ Dora-Mittelbau unter menschenverachtenden Bedingungen und wird erschossen von einem deutschen SS-Sturmbannführer. Diese Reihe von Morden haben so gut wie keine dramatische Realität, entsprechen so auch nicht der beliebten Berichterstattung der Sensationspresse, die die Opfer und die sie tötende strukturelle Gewalt schnell wieder vergessen macht. Diese Tode sind still und lakonisch, auch eine Erlösung aus einem schier unerträglichen Leben.

Als Ich-Erzähler:innen der Geschehnisse tritt für jede Ada-Figur ein Gegenstand auf, ein Reisigbesen, ein Türklopfer in der Form eines Löwenkopfes, ein Raum und ein englischer Reisepass, der die vierte Ada im Jahre 2019 in Berlin auf Wohnungssuche begleitet. Diese Gegenstände tragen im Gegensatz zu den Frauenfiguren das bewusste Wissen über Vergänglichkeit und Wiedergeburt in sich. Manchmal sind sie verstrickt in Diskussionen mit einem weiblichen Gott, die wie eine Brise nicht zu fassen ist. So verspricht diese den sehnsüchtigen bis unzufriedenen Ich-Erzähler:innen auch keine lebendige statt ihrer gegenständlichen Reinkarnation, die als Metapher für eine Autorin lediglich berichten statt handeln können.

Zusammengehalten wird diese häufig phantastische wie phantasievolle Handlung durch ein Armband aus Goldperlen, das immer schon entwendet war und auch am Schluss nicht in ein für uns so beruhigend erscheinendes, eindeutiges und möglichst gerechtes Eigentumsverhältnis übergeht. Mehr soll nicht verraten werden über die skurrilen Wendungen zum Ende des Romans, in dessen Mittelpunkt dann die junge Ada des 21. Jahrhunderts rückt. Dennoch wirkt das Buch auf mich weniger getragen von einer häufig der Autorin attestierten exotischen wie postmodernen „Erzähllust“, als von einer wohl durchdachten Konstruktion.

Jedenfalls hat es lange gedauert, ehe ich beim Lesen in das Buch eintauchen konnte. Hilfreich für ein emotionales Verstehen und damit auch ein Aushalten der ewigen, Jahrhunderte alten Wiederholung von menschen- und insbesondere frauenverachtender Realität war die parallele Lektüre eines Sachbuches: „Sister Outsider“ von Audre Lorde erschien erstmals 1984 und liegt jetzt zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor bei dem renommierten Hanser-Verlag.

Audre Lorde (geb. 1934 in Harlem, New York, gestorben 1992) bezeichnet sich selber als Schwarze, Lesbe, Mutter und Feministin, sie ist von Haus aus Lyrikerin und ihre in „Sister Outsider“ versammelten Essays, Vorträge und Konferenzpapiere stammen aus den Jahren 1977 bis 1982. Schon bevor der Begriff Intersektionalität von Crenshaw Ende der 80er Jahre geprägt wurde, beschreibt Lorde die Auswirkungen von Hass und Unterdrückung gegenüber einer Schwarzen Frau auf allen Ebenen des sozialen Seins. Für sie ist Sprache das Medium, diese Angriffe zu verarbeiten, im Gegensatz zum Schweigen, dem Verstummen. In einem prägnanten Stil mit einem Hang zum Substantiv, benennt Lorde differenziert und wortgewaltig viele konkret erlebte Situationen der rassistischen und sexistischen Verfolgung im US-amerikanischen Alltag. Außerdem ist sie bekannt für ihre offene Kritik an weißen Feministinnen, denen sie vorwirft in akademischer Ignoranz, „Werkzeuge der Herrschenden“ zu benutzen, „die das Haus der Herrschenden niemals einreißen“ werden. Ihren öffentlichen Brief an die Autorin von „Gynökologie“ Mary Daly, wird diese nie beantworten. Mit Adrienne Rich verbindet sie eine Freundschaft, die im Buch in einem längeren Interview dokumentiert ist. Lorde gelingt es, ihre Wut wahr zu nehmen, sie zu kommunizieren und damit nutzbar zu machen. Mithilfe von Sprache und Sprechen bleibt sie Zeit ihres (zu kurzen) Lebens eine Suchende nach einer alle Frauen verbindenden Solidarität und einem verborgenen Wissen, das immer schon weiblich war. „Ich fordere jede Einzelne von euch eindringlich auf, sich an den Ort des tief in eurem Innern verborgenen Wissen zu begeben und euch eurem Schrecken und eurer Abscheu vor Verschiedenheit zu stellen. Seht, wessen Gesicht sie tragen.“ (S.12)

Sharon Dodua Otoo: Ada’s Raum, S. Fischer, 2021, 320 S., 22 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Oto 1/1

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und

Audre Lorde: Sister Outsider, Hanser Verlag, 2021, 256 S., 20 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Aah 46

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Ele Grimm

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