Laut einer Studie des RKI stillen nur rund zwölf Prozent der Mütter in Deutschland bis zum sechsten Monat, obwohl das ausdrückliche Empfehlung der WHO ist. Einer der Gründe: Der berufliche Wiedereinstieg. Wo Hürden für Mütter liegen, erklärt Pia Müller, Stillberaterin bei der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen.
„Nach der Geburt meiner ältesten Tochter, habe ich gesehen, dass Stillen gar nicht so trivial ist“, erinnert sich Pia Müller. Für die promovierte Physikerin und mittlerweile Mutter von vier Kindern war ihre eigene Stillerfahrung ein großer Motivator Stillberaterin zu werden. Neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit in einem Dax-Konzern berät sie bei der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS) Mütter beim Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit. Ihr Angebot ist in Deutschland nahezu einmalig. Sie kombiniert ihre Erfahrung mit der Umsetzung des Mutterschutzgesetzes mit ihrer Expertise als Stillberaterin. Und sie kennt die Hürden, die stillende Mütter im beruflichen Wiedereinstieg überwinden müssen.
Stillen – eigentlich eine Win-Win-Win Situation
Nicht nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Säuglinge in den ersten sechs Monaten ausschließlich zu stillen. Auch die Nationale Stillkommission (NSK) stimmt dem zu. Pia Müller sagt, es seien vor allem die gesundheitlichen Aspekte, die dabei im Vordergrund stehen. Gestillte Kinder erkranken statistisch gesehen seltener an Infektionen. Von Magen-Darmerkrankungen, Erkältungen, Allergien hin zu Atemwegserkrankungen – die Liste der Dinge sei lang. „Stillen hat positive Auswirkungen auf das Baby weit über die Stillzeit hinaus“, so die Stillberaterin. Auch für Mütter sinkt das Risiko für Eierstock- und Brustkrebs, wenn die Mutter stillt. Doch noch eine dritte Instanz profitiert vom Stillen – Die Arbeitgebenden. Auch sie haben einen „Benefit“ erklärt Müller, da Kinder so weniger krank seien und Eltern dementsprechend nicht so häufig auf der Arbeit fehlen würden. Trotzdem ist der Wiedereinstieg in den Beruf für stillende Frauen häufig ein Hürdenlauf – warum?
„Ihre Bedürfnisse wurden schlichtweg nicht mitgedacht“
Ein Problem, so Müller, sei das fehlende Wissen über die Rechte stillender Mütter. Frauen haben beispielsweise das Recht auf einen stillfreundlichen Arbeitsplatz, sobald sie den Arbeitgebenden mitteilen, dass sie stillen. Ist der nicht gegeben, muss ein anderer Arbeitsplatz für die Mutter gefunden werden. Sollte auch das nicht möglich sein, hat die Mutter als letzten Ausweg die Möglichkeit einen Teil ihres Lohnes während der Stillzeit zu erhalten. Außerdem stehen Stillenden bis zum zwölften Monat bezahlte Stillzeiten und ein dafür geeigneter Raum zu.
Frauen müssten in den meisten Fällen aktiv ihre Rechte einfordern. Erst vor kurzem beriet Müller eine Klientin, die in einem männerdominierten Umfeld arbeitete. Einmal in der Woche hatte die stillende Frau einen langen Präsenztermin von mehreren Stunden, erzählt Müller. „Die Bedürfnisse der jungen Mutter wurden schlichtweg nicht mitgedacht. Niemand hat daran gedacht, Stillzeiten für sie einzurichten“, berichtet die Stillberaterin. Doch Müller glaube nicht, dass so etwas in „böser Absicht“ passiere. Vielmehr sei das Problem, dass sich viele Arbeitgebende nicht auskennen und mehr Infos bräuchten. Müller spricht von infrastrukturellen Hürden „Das fängt damit an, dass der Hygieneeimer auf der Toilette fehlt“, so die Stillberaterin.
Kein Frauenthema, sondern Grund zur Beförderung?
Stillen ist nach wie vor ein Tabuthema. Das zeigt ein anderes Beispiel einer jungen Frau, die bei Pia Müller Rat suchte. „Sie war extrem cool, talentiert und technisch so versiert“, schwärmt Müller. Trotzdem habe sie das Thema Stillen bei ihrem Vorgesetzten nicht ansprechen wollen, weil sie Nachteile für sich befürchtete. Die Angst: Wenn ich ein Frauenthema adressiere, werde ich als nicht so stark und leistungsfähig wahrgenommen. „Das ist natürlich totaler Humbug. Das Gegenteil sollte der Fall sein“, sagt Müller. Immerhin gleiche das Stillen eines Neugeborenen zeitlich einem Vollzeitjob, findet die Stillberaterin und vierfache Mutter. Frauen, die dann auch noch nebenbei arbeiten, seien extrem determiniert, konsequent und zuverlässig. „Die sind ein Vorbild und sollten beruflich unterstützt und gefördert werden“, so Müller.
Scham und rechtliches Unwissen sind Hürden, gegen die die AFS-Mitglieder und ihre Klientinnen aktuell noch kämpfen. Eine Eigeninitiative der Arbeitgebenden Hürden zu reduzieren, sähe Müller aktuell eher selten. „In der Theorie wäre das schön, die Praxis sieht leider anders aus“, so die Stillberaterin.
DENKtRÄUME beschäftigt sich dieses Jahr in seinem DDF-Projekt mit Materialien der AFS aus seinem Archiv. Die Dokumente werden digitalisiert und für die weitere Forschung aufbereitet. Mehr Infos zum Projekt findet ihr hier (Link zum Blogbeitrag).
Autorin: Lena Gaul