Im Urlaub gab eine Freundin mir ein Buch, das sie fertig gelesen hatte und was mich sofort fesselte.
Die Autorin Scholastique Mukasonga 1956 in Ruanda geboren, erlebte selbst bereits früh ethnisch begründete Gewalt, vor der sie letztendlich flüchten musste. Seit 1992 lebt Mukasonga in Frankreich und war zunächst als Sozialarbeiterin tätig. Im Jahr 2006 erschien ihr erster biographischer Roman „Inyenzi ou les Cafards“, dem inzwischen fünf weitere Romane gefolgt sind.
In „Kibogos Himmelfahrt“ geht es ums Erzählen. Als Narrative festigen Erzählungen und Überlieferungen die jeweilige Realität ihrer Rezipienten. In ihrem Roman gelingt es Mukasonga auf leise und ironische Weise, diese Mechanismen zu entlarven, einschließlich der ihnen innewohnenden direkten oder strukturellen Gewalt. Die Handlung dreht sich in einer nicht mehr horizontal angelegten Zeit- und Entwicklungslinie um einen Rettungsmythos, in dem eine Frau ein Dorf von einer verheerenden Dürre befreite. Der aus diesem Mythos entstandene Kult erfährt im Roman zahlreiche Varianten und Veränderungen je nach Kontext. Dieser reicht von christlichen Kolonisatoren bis linken oder akademischen Gutmenschen, die meinen, das Dorf und das erzählerische „wir“ unterstützen zu müssen. Aber auch alte und junge Männer des Dorfes versuchen, aus der Legende ihren Vorteil zu ziehen. Die Sprache von Mukasonga zeichnet sich durch große Klarheit bis Faktizität aus, ohne anklagend zu sein, wenn es z. B. wie zu Beginn des Romans um die koloniale Gewalt gegen die Kinder des Dorfes geht: „Kamanzi, unser Unterhäuptling, kam, um die Kinder zu holen. Der Kolonist hatte ihn dafür bezahlt.“ (S. 5) Das Buch endet in einer Utopie, die keine ist, da sie sich nicht festschreiben lässt und explizit eine weibliche Komponente mit einbezieht:
„Und in der geheimsten Nacht webten und webten die Erzählerinnen weiter die Geschichte von Kibogo.“ (S. 136) „Kibogos Himmelfahrt“ ist ein unbedingt lesenswertes Buch über die Macht von Geschichten.
Scholastique Mukasonga: Kibogos Himmelfahrt, Claassen 2023, 144 Seiten, 23,00 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: R Muk 2/1
Ele Grimm