Lesetipp: Isabel Morelli, „Kleine Pille, große Folgen“

Wie um alles in der Welt ist es möglich, dass dieses Medikament auch nach so vielen Jahrzehnten ‚voller Nebenwirkungen‘ immer noch so beliebt ist? Wissen die Frauen eigentlich, was sie seit Jahren schlucken?

Diese Frage beschäftigte Isabel Morelli auch aufgrund eigener Erfahrungen mit der Antibabypille und führte zu intensiven Recherchen über die Geschichte dieser kleinen Pille und ihrer Auswirkungen auf die Körper von (biologischen) Frauen. In langen und detaillierten Recherchen hat sie sich umfangreiches Wissen angeeignet und stellt es in dem vorliegenden Buch nun anderen Interessierten aufbereitet zur Verfügung. Dabei hat sie viele Informationen zusammengetragen. In kurzen überschaubaren und verständlich formulierten Abschnitten beleuchtet sie das Thema Antibabypille aus verschiedenen Perspektiven und gibt so einen guten Überblick für alle, die sich erstmalig oder erneut mit dem Thema auseinandersetzen und einen (Wieder-)Einstieg finden wollen.

Morelli steigt ein mit einem historischen Abriss zur Entwicklung der Schwangerschaftsverhütung bis zur Einführung der Antibabypille. Sie stellt Pionierinnen vor und ihren Kampf für einen legalen Schwangerschaftsabbruch und für die Aufklärung über Verhütung. Sie verdeutlicht, dass die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit die Einführung der Pille nur ermöglichten, weil sie als ein Mittel zur Regulierung des Monatszyklus vermarktet wurde – „Unfruchtbarkeit“ wurde als eine Nebenwirkung dezent im Kleingedruckten erwähnt, um keinen Aufschrei innerhalb der damaligen Gesellschaft zu provozieren. Auch wenn dieser historische Abriss aufgrund der Kürze nur sehr oberflächlich und an einigen Stellen unscharf dargestellt werden kann – bspw. die aktuelle Situation der Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen –, wird deutlich was für ein Problem ungewollte Schwangerschaften für Frauen darstellten und welche Erleichterung die Pille bei ihrer Einführung gewesen ist.

Nach dem historischen Abriss widmet sich Morelli ausführlich der Frage, warum 60 Jahre nach Einführung der Pille immer noch so wenig Wissen darüber in der breiten Gesellschaft vorhanden ist. Sie merkt an, dass der Hauptgrund bis heute ein Mangel an richtiger Aufklärung sei und Frauen keinen bzw. wenig Bezug zu ihrem Körper hätten, vor allem wenn es um den eigenen Zyklus gehe. Sie appelliert an die (Wieder-)Aneignung dieses Wissens und so an das Zurückgewinnen der eigenen Deutungshoheit und ein Vertrauen in die Botschaften der eigenen Körpersymptome.

Wir wachsen in dem Glauben auf, dass schlimme Schmerzen während der Periode eben dazugehören, dass depressive Verstimmungen, spannende Brüste, ein aufgeblähter Bauch, Übelkeit oder eine geringe Libido eben ein Frauenschicksal sind, mit dem wir leben müssen.

Auch kritisiert sie, dass sich die Mehrheit der Frauen erst im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft überhaupt mit dem eignen Zyklus auseinandersetze; generell gehe es bei diesem Thema oft um Schwangerschaftsverhütung und nicht darum, dass der Zyklus natürlicher Bestandteil eines (gesunden) biologisch weiblichen Körpers sei.

Einer generellen Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit der Pille folgt ein kurzer und informativer Abriss über die Funktion von Zyklus, Menstruation und Hormonen. Darauf aufbauend geht Morelli die Funktionsweise der Pille ein und ihre Wirkung auf Psyche und verschiedene Körperorgane und -funktionen. Hier klärt sie auch über genaue Zusammensetzung und Nebenwirkungen auf. Erschreckend ist dabei vor allem die Auflistung der häufigsten(!) Nebenwirkungen, die sich über eineinhalb(!) Seiten erstreckt und so gut wie jedes Körperteil betreffen kann.

‚Die Pille ist ein riesiger, bereits Jahrzehnte andauernder Feldversuch am weiblichen Geschlecht und bis heute tappen wir größtenteils im Dunkeln.‘

Der darauffolgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Ausbildung von Gynäkolog:innen. Morelli kritisiert hier die sehr einseitigen Schwerpunkte in der Ausbildung und appelliert an eine Verbreiterung, die unter anderem auch die häufigeren Zyklusbeschwerden von Frauen mit in den Fokus rückt. 

Diesem Abschnitt folgen Erfahrungsberichte von Patient:innen mit der Pille. Das Lesen dieser Erfahrungsberichte und was für Leiden die einzelnen Frauen durchstehen mussten, ist streckenweise sehr bitter. Es ergänzt jedoch das theoretische Wissen des Buches um eine wertvolle Komponente und rundet es aus meiner Sicht ab.

Der letzte Abschnitt geht schließlich der Fragen nach wer eigentlich für die Verhütung verantwortlich ist und endet mit einem Appell, wo möglich Alternativen zu suchen, und mit der Aufforderung speziell an Männer mit Verantwortung zu übernehmen.

In Bezug auf Literatur zum Thema Frauengesundheit bietet das Buch zwar keine wesentlich neuen Erkenntnisse, es bündelt dieses Wissen jedoch und bietet einen guten, informativen und umfassenden Einstieg in das Thema Antibabypille, Zyklus und Frauengesundheit. Jede Frau und jede interessierte Person sollten sich dieses Wissen aneignen, um bestmöglich informiert über die Verwendung der Pille entscheiden zu können. Durch die zugängliche Sprache ist es auch für junge Mädchen gut verständlich und ist als (erste) Informationsquelle sicher sehr wertvoll. Ich kann es als Lektüre empfehlen.

Isabel Morelli: Kleine Pille, große Folgen. Was dir keiner über die Antibabypille erzählt, Komplett Media 2020, 156 S., 18 Euro

In unserer Bibliothek entleihbar unter der Signatur: Iac 101

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Ojdana Triplat

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