Lesetipp: Golineh Atai, „Iran. Die Freiheit ist weiblich“

Die Autorin Golineh Atai wurde 1974 in Teheran als Tochter der persischen Oberschicht geboren und war langjährige Korrespondentin der ARD in Kairo und Moskau.

Im Prolog von „IRAN – Die Freiheit ist weiblich“ berichtet Atai von eigenen Erinnerungen an die Machtübernahme der Mullahs; sie nahm als kleines Mädchen gemeinsam mit ihrer Mutter 1980 an einer Demonstration von Frauen gegen die Ermordung der Bildungsministerin Parsa teil. Nachdem die dadurch entstandene Gefährdung von Mutter und Tochter deutlich wurde, flohen sie gemeinsam nach Deutschland. Das Anliegen Atais heute besteht darin, Frauen, die unter dem herrschenden Regime als Menschen zweiter Klasse gelten, eine Stimme zu geben. „Vielleicht können wir von ihnen lernen, die Dinge endlich beim Namen zu nennen.“ (S. 26)

Es folgen wunderbar geschriebene Portraits von neun sehr unterschiedlichen Heldinnen, die die iranische Gesellschaft auf ihre Art verändern – trotz oder gerade wegen politischer Repressionen. Es entsteht ein sowohl dichtes als auch differenziertes Bild des heutigen Irans und seiner Geschichte.

„Wir sehen die hellsten Sterne oft in der dunkelsten Nacht. Die Geschichten der neun Frauen erzählen die Geschichte einer Wandlung, einer Überwindung. Die Geschichte eines Wachstums, einer ungeahnten Kraft, eines unheimlichen Mutes.“ (S. 307)

Am Ende des Buches formuliert Atai einen Appell an den deutschen Staat, die mutigen Frauen und ihre Anliegen zu unterstützen.

Im Mittelpunkt steht die Selbstermächtigung, die eigene Geschichte überhaupt erzählen zu können und andere damit zu ermutigen, neben dem unerlässlichen internationalen Einsatz für Menschenrechte weltweit. In diesem Buch findet sich der Glücksfall, dass eine Frau, der die Kultur und Sprache vertraut sind, auch als medial präsente Journalistin, gute Möglichkeiten für die Veröffentlichung hat.

Das Cover des Buches verbleibt meiner Meinung nach in einer romantisierenden Vorstellung verhaftet, wer auch immer sich dafür entschieden haben mag. Die Farben sind die der iranischen Nationalflagge, die Zeichnung einer im herkömmlichen Sinne schönen und jungen Frau mit stolzer Haltung und erhobener Faust vermittelt Stärke. Neben der kämpferischen Aussage verkürzt die ikonographische Weiblichkeit die im Buch  differenziert gezeichneten Frauenbilder.

Darüber hinaus hat das Buch im September 2022 eine ungeahnte Aktualität durch die Ereignisse im Iran bekommen, die zeigen mit welcher Gewalt gerade Frauen von dem Regime unterdrückt werden. So trägt die Frau auf dem Buchumschlag ihren Schleier als Schal um den Hals, ein Thema der  Kampagne „My stealthy freedom“. Bereits 2014 initiierte die im Iran geborene und in England lebende Journalistin Masih Alinejad diese online Bewegung. Über Facebook konnten Frauen Fotos von sich ohne Schleier posten als Protest gegen ihre Unterdrückung. Bis 2016 gab es über eine Million likes dafür, aber auch kontroverse Haltungen, so zum Beispiel im Sommer 2022 eine öffentliche polemische Diskussion westlicher Frauen, die das Thema Ent-schleierung ansiedeln zwischen den Überzeugungen eines postmodernen oder linken Kulturrelativismus, heißt kein Eingriff in fremde Angelegenheiten und der Unterstützung einer weltweit relevanten Befreiungsbewegung, nicht nur von Frauen.

Mehr zum Iran und seiner Politik und Kultur im Buch, das bei DENKtRÄUME im Regal steht.

Golineg Atai: Iran. Die Freiheit ist weiblich, Rowohlt Berlin 2021, 319 S., 22 Euro

In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Kea 82

Ele Grimm

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