Schon einmal eine Frauen*milchbank von Innen gesehen? Die Frauen*milchbank im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf versorgt Frühchen mit Spendemilch – trotz Platzmangels und fehlender finanzieller Unterstützung. Stillberaterin Judith Karger-Seider berichtet von den Herausforderungen des Alltags, dem Kampf gegen die Sexuailsierung der weiblichen Brust und der Bedeutung von Muttermilch.
Das Zimmer 050.1 auf der Intensivstation für Früh- und Neugeborene erinnert an eine winzige Studi-Küche – auf knapp drei Quadratmetern ein kleiner Tisch, ein Waschbecken, ein beige-gelber Küchentresen und zwei hüfthohe Kühlschränke. Zu zweit kann man sich hier nur mit Mühe aufhalten. Am besten bleibt eine Person im Türrahmen stehen.
„Und das hier ist die Frauen*milchbank“, sagt Judith, reibt sich die Hände vom Desinfektionsmittel und öffnet einen der Kühlschränke. Zum Vorschein kommen knapp achtzig Fläschchen, befüllt mit einer gefrorenen, gelblichen Flüssigkeit. Judith Karger-Seider ist schon seit 25 Jahren Fachgesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und Stillberaterin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Sie trägt einen tiefblauen Kasack, eine Kombi aus einem kurzärmligen Hemd mit V-Ausschnitt und der passenden Baumwollhose. Um ihren Hals hängt ein Schlüsselbund mit der Aufschrift FMBI.
Judith nimmt eine der Flaschen heraus und betrachtet sie durch ihre runde Brille. Mit dem Strichcode erinnert das Fläschchen etwas an ein zu groß geratenes Yakult aus dem Supermarkt. Daneben steht handgeschrieben: „Muttermilch: Lebensmittel“. „Zwar ist hier wenig Platz, aber trotzdem leistet unsere Frauen*milchbank Großartiges“, sagt Judith. Sie und ihr Team helfen den allerkleinsten Patient*innen im UKE beim Start ins Leben.
Mütter nach Frühgeburten entlasten
Seit 2017 betreibt das UKE in Hamburg die Frauen*milchbank. Mittlerweile ist sie eine von fünfzig in ganz Deutschland. „Als wir damals gestartet haben, waren es noch 19“, erinnert sich Judith. Ein Jahr später, 2018, wurde die Frauenmilchbank-Initiative e.V. (FMBI) gegründet, in der Judith heute im Vorstand sitzt.
Die Frauen*milchbank am UKE versorgt Frühgeborene bis zur 36. Woche mit Spendemilch. „Bei Frühgeburten können die Frauen* teilweise viel Blut verlieren, sind gesundheitlich beeinträchtigt und oft emotional sehr gefordert, weil sie zu früh entbunden haben. Für die frischgebackenen Mütter ist es dann schwierig, auch noch Milch zu gewinnen. Mit der Möglichkeit der Spendemilch möchten wir ihnen den Druck nehmen“, sagt Judith. Da sei die Möglichkeit, das Neugeborene übergangsweise mit Muttermilch einer anderen Frau zu stillen, häufig eine große Entlastung, so die Stillberaterin.
Muttermilch – ein Rundum-Sorglos-Paket
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Spendemilch aus Frauen*milchbanken die beste Alternative, wenn die Milch der eigenen Mutter nicht ausreicht. Muttermilch schützt Frühgeborene unter anderem vor schweren, manchmal sogar tödlich verlaufenden Darmerkrankungen und bietet Abwehrstoffe vor Infektionen. Ein „Rundum-Sorglos-Paket“, so nennt Judith die Muttermilch. Trotzdem sei Stillen bis heute leider häufig mit Vorurteilen behaftet. „Interessanterweise stellt man Stillen nirgendwo sonst in der Natur infrage – nur bei uns“, sagt Judith. Das liege vermutlich an mangelnder Aufklärung, findet sie. Social Media und Co. hätten darauf nicht gerade einen positiven Einfluss. Online würden häufig negative Stillbeispiele gezeigt. „Die weibliche Brust ist in vielen Köpfen nicht mehr für die Ernährung des Kindes zuständig, sondern wird häufig sexualisiert“, so Judith. Das bemerke sie auch im Alltag. Beispielsweise, wenn Frauen* sich beim Stillen anfangs schämen würden, ihre eigene Brust anzufassen.
Milch von einer anderen Frau für das eigene Kind anzunehmen sei für manche erst einmal nicht vorstellbar. Judith kann das nur schwer nachvollziehen: „Von einem anderen Säugetier schüttet man sich ja auch die Milch in den eigenen Kaffee, und das ist nicht befremdlich.“ Judith und ihre Kolleg*innen leisten daher viel Aufklärungsarbeit und versuchen, den Bedürfnissen der frischgebackenen Eltern gerecht zu werden. So nähmen sie beispielsweise Rücksicht auf Milchgeschwister – ein Konzept, das besonders im Judentum und Islam verbreitet ist. „Wir können garantieren, dass wir immer wissen, ob die Spendemilch von einer Frau mit einem Mädchen oder Jungen kommt“, erklärt Judith. Das sei wichtig, da Kinder, die von der gleichen Mutter Milch bekommen, in manchen Kulturen nicht heiraten dürften.
Ausreichend Milchspenden, doch nicht genügend Platz
Die Spendemilch ist ausschließlich überschüssige Milch der Spenderinnen – das sei Grundvoraussetzung, erzählt Judith. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Frauen* ein Kind bekommen haben, das nicht gestillt werden kann, weil es krank ist. Alles, was die eigenen Kinder nicht bräuchten, könne gespendet werden, wenn die Mutter spezielle gesundheitliche Kriterien erfüllt. Anschließend wird die Milch im Labor geprüft, pasteurisiert und eingefroren. Damit bleibt sie ganze sechs Monate haltbar und kann einem Frühchen über eine Magensonde oder eine Flasche verfüttert werden.
Insgesamt befinden sich in der Frauen*milchbank des UKE meist sechs bis zehn Liter Milch. „Letztes Jahr hat eine Spenderin allein neun Liter Milch gespendet“, erzählt die Stillberaterin. Dennoch reiche die Milch meist nicht aus, um jedes Frühchen zu versorgen. „Es gibt genügend Spenderinnen. Und trotzdem nicht genügend Milch, weil wir nicht ausreichend Platz haben, um sie zu lagern“, so Judith.
Wahre Stationspower auf eigene Kosten
Obwohl Muttermilch so wichtig für Frühgeborene ist, werden die Kosten für die Bereitstellung nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Abteilung stemmt einen großen Teil der Ausgaben und ist auf Privatspenden angewiesen. Die Kosten seien erheblich. Das finge mit dem Aufklärungsgespräch des Arztes an und ginge über die Rechnungen für das Hygienelabor bis hin zur Lagerung und Portionierung, erklärt die Stillberaterin. „Das ist wahre Stationspower, hier sind alle involviert“, sagt Judith.
Eine Win-Win-Win-Situation – aber kaum Unterstützung
Wenn sowohl Mütter, Kinder und Krankenkassen profitieren, warum müssen die Frauen*milchbanken die Kosten noch allein tragen? Es gebe zu wenig Lobby für das Thema, erklärt Judith. „Es bräuchte jemanden, der sich wirklich dahinterklemmt. Es bräuchte Fördermittel und mehr Aufklärung über dieses wichtige Thema in der Bevölkerung“, so die Stillberaterin. Erst 2016 unterstützte das Land Niedersachsen Frauen*milchbanken mit 500.000 Euro. Das würde sich Judith auch in Hamburg wünschen: „Bisher hat es in Hamburg noch keine finanzielle Unterstützung gegeben. Aber daran arbeiten wir.“ Die Frauen*milchbank soll in Zukunft erweitert werden. Judiths Wunsch ist, dass sie mit der Milch aus der Frauen*milchbank am UKE irgendwann alle Frühgeborenen in Hamburg versorgen können. Noch bis heute hat nicht jedes Frühgeborene in Deutschland Zugang zu gespendeter Milch.