Im Folgenden wird der Sammelband „Stille Macht: Silence und Dekolonisierung“ von der Herausgeberin Emily Ngubia Kessé vorgestellt. Das Buch wurde im Kontext postkolonialer Studien und kritischer Theorie geschrieben. Es reflektiert die anhaltende koloniale Gewalt und deren Auswirkungen auf individuelle und kollektive Identitäten und setzt sich mit dem Konzept der Silence als ein Werkzeug der Macht und dessen Rolle im Prozess der Dekolonisierung auseinander. Mit einfühlsamem Blick und profunder Analysen werfen die Autor:innen in diesem Sammelband Licht auf die subtilen, aber dennoch bedeutenden Wechselwirkungen zwischen Silence, Machstrukturen und der Notwendigkeit, koloniale Erzählungen zu dekonstruieren. Durch die Dekolonisierung des Denkens und der Sprache lädt das Buch dazu ein, die bestehenden Machtverhältnisse zu hinterfragen, einen Raum für alternative, emanzipatorische Erzählungen zu schaffen und die Stimmen von Marginalisierten und Unterdrückten hervorzuheben.
Die Textarten, die in dem Sammelband präsentiert werden, sind vielschichtig und setzen sich auf unterschiedliche Weise mit den Themen Silence und Silencing auseinander. In einem Interview zwischen Emily Ngubia Kessé und Sofia Hamaz wird eine dialogische Perspektive eröffnet, die den Austausch über Erfahrungen und Herausforderungen in Bezug auf Stille und den Verlaust der Stimme hervorhebt. Ergänzend dazu bietet der Brief von Sunanda Mesquita einen persönlichen und intimen Zugang zu den Auswirkungen des Schweigens, während das Gespräch der People of Color Hochschulgruppe Mainz kollektive Erfahrungen und Perspektiven aufgreift, die in der Gemeinschaft geteilt werden. Einige der Texte zeichnen sich durch abstrakte oder metaphorische Erzählweisen aus, wie im Kapitel „Die Geheimnisse von Porkville“, welches komplexe soziale Dynamiken auf einen poetischen und symbolischen Weg reflektiert. Andere Kapitel hingegen, wie „Eine phänomenologische Reflexion des Seminarraums“ von Jenny Oliveira Caldas und „Zum Schweigen gebracht: Rassismus im deutschen Bildungssystem“ von Victoria Yiwumi Nge Faison, thematisieren konkret und direkt die Realität und die Empfindungen von Individuen in einem diskriminierenden Umfeld. Hierbei wird die Empathie der Lesenden geweckt, und es entsteht ein bewusster Zugang zu den Erfahrungen, die Menschen aufgrund von Rassismus und Diskriminierung erleiden müssen. Diese Vielfalt der Textarten und Perspektiven ermöglicht es den Lesenden, das komplexe Phänomen von Silence und Silencing umfassend zu erfassen. Die unterschiedlichen Ansätze schaffen einen Raum für Reflexion und Diskussion über soziale Ungerechtigkeiten und laden dazu ein, die vielschichtige Beziehung zwischen Stimme, Stille und Macht eingehender zu untersuchen. So wird in der Gesamtheit des Werkes deutlich, dass Stille nicht nur ein Zustand des Schweigens ist, sondern auch vielschichtige gesellschaftliche Implikationen und individuelle Emotionen birgt, die eine kritische Auseinandersetzung erfordern.
Zusammenfassend wird deutlich, dass die thematische Auseinandersetzung mit Stille und dem Schweigen tiefgreifende Einblicke in die Dynamiken von Macht, Identität und Widerstand bietet. Kessé erhebt die stille Macht der marginalisierten Gruppen zu einem zentralen Element des Widerstands gegen patriarchale und koloniale Strukturen. Sie zeigt, dass das Schweigen nicht lediglich als Passivität verstanden werden sollte, sondern oft als bewusste und strategische Handlung, die eine Vielzahl von Erfahrungen und Perspektiven umfasst. Insgesamt bietet Kessés Werk nicht nur eine kritische Analyse der bestehenden Machtverhältnisse, sondern auch einen inspirierenden Aufruf zur Auseinandersetzung mit den stillen Kämpfen, die oft übersehen werden. Es ermutigt dazu, die eigene Stimme zu erhaben und die Stimmen derjenigen zu hören, die in sozialen und politischen Diskursen oft zum Schweigen gebracht werden. Somit wird „Stille Macht“ nicht nur zu einem wichtigen Beitrag zur feministischen und postkolonialen Theorie, sondern auch zu einem Richtungsweisenden Werk für diejenigen, die sich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in einer pluralistischen Gesellschaft einsetzen.
Emily Ngubia Kessé (Hg.): Stille Macht. Silence und Dekolonisierung. Silence, Wissen und Machtstrukturen, w_orten & meer 2018, 160 Seiten, 18,00 Euro
In unserer Bibliothek ausleihbar unter der Signatur: Acd 101
Steffi